Hallo Christian, Du bist in der Piratenpartei der Wahlkampfhelfer schlechthin. Kein Bundesland, dem Du nicht schon geholfen hast. Mit Deiner Kandidatur zum Europaparlament besteht die Gefahr, dass Du plötzlich in Brüssel wohnst und uns nicht mehr helfen kannst.
Glaubst Du, Du kannst das mit Deiner Arbeit im Europaparlament ausgleichen?
In jedem Bundesland war ich noch nicht. Auch jetzt habe ich einen Vollzeitjob und ehrenamtliche Tätigkeiten in diversen Vereinen. Ich denke nicht, dass das Mandat die Mitarbeit in der Piratenpartei Deutschland komplett verhindert. Die Vorgänger haben ihr Mandat etwas anderes interpretiert. Der Fokus lag sehr stark auf der Arbeit im Parlament und weniger in der Partei mitzumischen. Ich bin überzeugt, wenn Du die Chance auf so ein Mandat durch die Partei hast, solltest Du der Partei auch wieder etwas zurückgeben.
Das Europaparlament bietet eine Fülle an Möglichkeiten, sich zu betätigen.
Welche Themen würdest Du schwerpunktmäßig betreuen?
Im Kreistag bin ich im Ausschuss für Kreisentwicklung, Wirtschaft, Arbeit und Soziales tätig. Das entspricht auch meinen persönlichen Hauptinteressen. Ich denke in dem Slogan aus Clintons damaliger Kampange „It’s the economy, stupid“ liegt schon viel wahres.
Allerdings interessieren mich auch andere Themen wie etwa Kultur und ich würde mich bei der Ausschussverteilung mit der Fraktion absprechen.
Du bist Mitglied in der AG Wirtschaft.
Welche wirtschaftlichen Themen in der EU brauchen dringend piratigen Einfluss?
Produkte müssten mit ihren wirklichen Kosten, etwa für die Umwelt, bepreist werden. Die Subventionspolitik etwa in der Landwirtschaft muss grundlegend überdacht werden. Pauschale Flächenprämien ohne nachhaltige Anreize können so nicht weiterlaufen.
Generell muss Wirtschaft sich mehr an den Verbrauchern orientieren, anstatt nur an Profitinteressen.
Welche Rolle spielt Deutschland, vor allem wirtschaftlich, für Europa nach Deiner Ansicht?
Deutschland ist wirtschaftlich die stärkste Macht in der EU. Durch eine Niedriglohnpolitik, beginnend mit Schröder, hat Deutschland durch seine Exportüberschüsse die Eurozone in eine Schieflage gerückt. Nebenbei ist der große Niedriglohnsektor auch ein Grund für die Defizite in der Rentenkasse.
Deutschland tritt manchmal relativ überheblich auf bei unseren Nachbarn.
Gibt es ein Gebiet, wo unsere Nachbarn uns klar voraus sind?
Die skandinavischen Länder haben in vielen sozialen Bereichen ein System, was die Menschen glücklicher macht als in Deutschland. Finnland hat ein vorbildliches Bildungssystem.
Das Rentensystem in Österreich gilt im Allgemeinen als gerechter und Wien ist bekannt für seinen sozialen Wohnbau. Um auf ein Kernthema der Piraten zu sehen, sind die baltischen Staaten im Bereich Digitalisierung uns voraus. Auch wenn mit dem Deutschlandticket ein richtiger Schritt getan wurde, ist uns Luxemburg mit seinem kostenfreien Bahnverkehr noch etwas voraus.
Welche wirtschaftlichen Mittel gibt es, die Klimakatastrophe zu bekämpfen?
Im Bereich Mobilität müssen wir den öffentlichen Verkehr wieder ausbauen. Güter müssen wieder vermehrt auf der Schiene transportiert werden.
Die Liberalisierung bzw. Privatisierung des Strommarktes halte ich für einen Fehler. Hier müssen erneuerbare Energien ausgebaut und Netze dezentraler funktionieren.
Die EU muss durch Investitionen in Billionenhöhe weiter die Umstellung der Industrie auf CO₂-neutrale Produktion forcieren. Außerdem werden wir um Auflagen für die Produzenten nicht herumkommen. Auch Verbote können Innovationen fördern.
Du als Wahlkampfprofi.
Welche Thema sollten wir im Wahlkampf besser nicht verwenden?
Mit Sicherheitspolitik habe ich so meine Bedenken. Einerseits könnte eine gemeinsame Armee Ressourcen sparen, dennoch habe ich große Probleme mit der zunehmenden Militarisierung und Aufrüstung. Ich bin überzeugt, dass die Piratenpartei immer wachsam gegenüber staatlichen Repressionsorganen sein sollte – gerade in diesen Zeiten.
Mit welchen Themen müssen wir unbedingt Wahlkampf machen?
Transparenz und Eindämmung von Lobbyismus sind ja klassische Piratenthemen, die in Europa eine große Rolle spielen. Der Kampf gegen den Überwachungskapitalismus muss in Europa geführt werden. Die Machtkonzentration bei den Techkonzernen halte ich für demokratiegefährdend.
Wie können wir speziell die Jungwähler ab 16 Jahren motivieren?
Es ist schon ein Erfolg, dass bei dieser Wahl erstmals mit 16 Jahren gewählt werden darf. Das müssen wir auch kommunizieren. Dann müssen wir die Vorteile der EU etwa für junge Beschäftigte verdeutlichen. Beispielsweise bei den Kündigungsfristen hat ohne Europarecht die Betriebszugehörigkeit erst ab 25 Jahren eine Rolle gespielt. Außerdem ist die Reisefreiheit ohne Grenzkontrollen ein spürbarer Effekt der europäischen Integration.
Welchen Listenplatz strebst Du an?
Ich wäre sehr froh über Listenplatz 4 oder 5, da es mindestens 3 Mitbewerber/innen gibt, die ich für kompetenter halte.
Das Interview wurde offline geführt. Vielen Dank für das Interview an Christian Horn.
Ullrich Slusarczyk
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.