Hallo Andreas,
Du bist sehr aktiv im Bereich Hanf und Koordinator der AG Drogen- und Suchtpolitik. Leider ist Deutschland noch sehr weit weg von einer vernünftigen Politik in Sachen Cannabis. Sowohl bei der Legalisierung, als auch der Gebrauch als Medikament.
Welche Möglichkeiten siehst Du auf europäischer Ebene, hier auf Deutschland einzuwirken?
In erster Linie sollte es Aufgabe der EU sein, den Weg für eine andere Drogenpolitik in den Mitgliedsstaaten zu ebnen. Als Hürde sind hier die internationalen Vereinbarungen wie das Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel (Single Convention on Narcotic Drugs) von 1961 zu nennen, welches Deutschland 1973 ratifiziert hat. Diese und weitere UN-Konventionen wurden teilweise von den Mitgliedsstaaten und teilweise von der EU abgeschlossen und in entsprechende Gesetze wie z.B. das Betäubungsmittelgesetz in Deutschland umgesetzt. Daher ist es wichtig diese Konventionen auf nationaler wie auf Ebene der Gemeinschaft aufzukündigen und Änderungen anzustreben.
Darüber hinaus planen einige Mitgliedsstaaten (Tschechien, Niederlande, Malta, Portugal, Luxemburg sowie Deutschland) die Legalisierung von Cannabis.
Tschechien plant das für 2024 und hat eine Klage gegen die EU angekündigt, sofern diese die oben beschriebenen Hürden nicht beseitigt.
Auch die kontrollierte Drogenabgabe ist in Deutschland noch immer nicht wirklich angekommen.
Kann Europa wirklich Einfluss nehmen und wenn ja wie?
Nein hier beobachten wir leider eine Verschlechterung der Situation, da viele Ärzte die Substitution für Abhängige ( z.B. Methadon, Heroin) angeboten haben, jetzt oder demnächst in den Ruhestand gehen und es keine Nachfolge gibt.
Die Versorgung mit med. Cannabis ist sehr bürokratisch geregelt und steht unter dem Genehmigungsvorbehalt des medizinischen Dienstes. In der Folge bekommen immer noch viel zu wenige Patienten dieses Medikament.
Ein erster Schritt wäre natürlich das geplante Cannabisgesetz mit der Abgabe durch Cannabis Social Clubs und dem Eigenanbau.
Die sog. 2. Säule, d.h. der Verkauf in lizensierten Shops scheitert derzeit noch an den oben genannten bilateralen Verträgen.
Ich beziehe diese Frage mal ausschließlich auf den drogen- und suchtpolitischen Ansatz.
Die EU kann wie oben schon beschrieben, den Mitgliedsstaaten helfen einen neuen Weg in der Drogen- und Suchtpolitik zu beschreiten. Darüber hinaus kann sie die Mitgliedsstaaten zu einem besseren Jugend-, Verbraucher- und Gesundheitsschutz durch eine kontrollierte Abgabe (ggf. auch Verkauf) von psychoaktiven Substanzen motivieren. Gleichzeitig jedoch auch den Missbrauch von sog. legalen Substanzen wie Alkohol, Tabak (Nikotin) regulieren.
Was verbindet Dich mit “Europa”?
Ich fühle mich eher als Europäer als als Deutscher.
Als in der alten „Frontstadt“ Westberlin Aufgewachsener war die Berührung mit Menschen aus anderen Nationen für mich immer etwas völlig Normales.
Viele aus meiner Familie haben im Weltkrieg und durch Flucht und Vertreibung Schlimmes erlebt.
Die Europäische Idee eines Zusammenlebens in Frieden und Freiheit ohne Grenzen mit freiem Waren- und Dienstleistungsverkehr ist schon eine tolle Sache und hat uns in Europa vereint und eine Zeit des „Friedens“ beschert. Leider wird auch derzeit wieder in Europa Krieg geführt.
Europa ist fraglos wichtig. Aber viele Menschen glauben, dass uns Europa bevormundet.
Welche Rolle spielt Europa für Deutschland nach Deiner Ansicht?
Das mit der Bevormundung durch die EU oder durch die Nationalstaaten ist so eine Sache. Je nach Auswirkung auf die Betroffenen wird staatliche Bevormundung negativ (Beschneidung persönlicher Freiheiten) oder positiv (Schutz durch staatliche Fürsorge) empfunden.
Als größte Volkswirtschaft in der Mitte Europas profitiert Deutschland besonders von der europäischen Integration. Deutsche Unternehmen exportieren ihre Produkte vor allem in den europäischen Binnenmarkt. Die dadurch erzielten Wohlstandsgewinne übersteigen die Beiträge zum EU-Haushalt um ein Vielfaches.
Wo würdest Du Deine Hauptaufgabe im Europaparlament sehen?
In der Sozialpolitik incl. der Erweiterung der Kompetenzen der EU in dieser Hinsicht.
Die Auswirkungen der Krisen der letzten Jahre sind in vielen Staaten noch nicht überwunden. Eine alternde Bevölkerung stellt die Sozialversicherungssysteme vor große Herausforderungen. Der technische Fortschritt, die Globalisierung, die Klimakrise, eine stärkere Orientierung hin zu Dienstleistungen werden die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen stark verändern. Hier ist Europa gefordert, um den Menschen zu helfen.
Wenn Du gewählt würdest, in welchen Ausschuss / welche Ausschüsse würdest Du gerne?
Der für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten würde mich neben der Drogenpolitik schon interessieren.
Dem Wahlkampf wird eine entscheidende Rolle zukommen. Sowohl was die Themen anbetrifft als auch der Einsatz insgesamt.
Mit welchen Themen müssen wir unbedingt Wahlkampf machen?
Na neben den üblichen Themen wie Chat-Kontrolle sollten wir die unbedingt die Drogen- und Suchtpolitik nicht vergessen. Viele Wähler haben zuletzt wegen der Hoffnung auf eine schnelle Cannabislegalisierung Parteien aus der Ampel gewählt. Das könnte zur kommenden EU-Wahl anders sein. Die Piratenpartei springt da auch nicht auf ein Thema auf was grade aktuell ist, sondern kann auf langjährige Erfahrung zurückblicken. Unsere AG hat sich schon 2010 mit fast identischen Forderungen und Themen beschäftigt.
Sehr wahrscheinlich wird uns die Klimakatastrophe die nächsten Jahrzehnte begleiten.
Kann das Europaparlament einen Beitrag zur Bewältigung der Klimakatastrophe leisten?
Der Green Deal, also das Programm zur Umsetzung einer klimaneutralen und nachhaltigen EU in Verbindung mit der Förderung der Kreislaufwirtschaft, der Schaffung eines Systems nachhaltiger Lebensmittel und der Erhalt der biologischen Vielfalt kann schon einen wesentlichen Beitrag hierfür bilden. Wir müssen jedoch aufpassen, dass diese Programme aus Eigennutz Weniger nicht umgesetzt werden können. Hier ist langfristiges Denken gefragt und nicht nur ein Blick auf die Gewinnseite der Unternehmen.
Hast Du bereits Erfahrung in Brüssel/Straßburg sammeln können? Wenn ja, welche?
Nein. Politische Erfahrungen in der Gremienarbeit konnte ich bislang nur als Sachkundiger Einwohner in den Ausschüssen für Soziales, Gesundheit und Migration, Landwirtschaft und Kreisentwicklung sowie im Haushalts- und Finanzausschuss des Landkreises Oder-Spree machen.
Welchen Listenplatz strebst Du an?
Ich möchte mit meiner Kandidatur die ersten Listenplätze unterstützen und strebe nur einen hinteren Listenplatz an.
Das Interview wurde offline geführt. Vielen Dank für das Interview an Andreas Grätsch.
Ullrich Slusarczyk
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.