Hallo Schoresch,
Du kandidierst für das Europaparlament. In meinen Augen bist Du bei uns ein politisches Schwergewicht in Sachen Europapolitik aber auch Weltpolitik und hier speziell der Iran. Damit ergänzt Du, wie ich persönlich finde, unsere klassischen Kernthemen. Darüber hinaus wird unsere AG Außenpolitik, der Du angehörst, auch außerhalb der Piratenpartei wertgeschätzt.
Welchen Themen, die speziell Europa betreffen, können einen Piraten gebrauchen?
Russland, China und der Iran bilden eine „Achse der Autokratien“, welche weltweit versucht, die Demokratie zu bekämpfen. Sei es in der Ukraine, die Bedrohung von Taiwan oder dadurch, dass diese Staaten versuchen, die Demokratie in Deutschland und Europa zu schwächen und am Ende zu zerstören. Der Kampf gegen Fake News, Internetzensur, hybride Kriegsführung und der Kampf gegen die „Achse der Autokratien“, welche durch einen breiten Werkzeugkasten alles versucht, um das Vertrauen in die Demokratie und die Würde des Menschen in Europa mit allen Mitteln zu zerstören.
Im Iran gibt es beinah täglich Hinrichtungen.
Wirst Du darauf hinarbeiten, die iranischen Revolutionsgarden zur terroristischen Organisation erklären zu lassen?
Ja. Und wir müssen darüber hinaus auch noch ihren Lobbygruppen in Deutschland und Europa Einhalt gebieten. Leider haben sich die Grünen im Europaparlament auch als guter Ansprechpartner für verschiedenste autoritäre iranische Gruppierungen erwiesen. Das haben alleine die jüngsten Berichte aus der iranischen Community gezeigt.
Insgesamt 97 Personen und 8 Organisationen, darunter z.B. die Sittenpolizei, sind von europäischen Sanktionen betroffen.
Hältst Du die Sanktionen für ausreichend?
Die Sanktionen sind nicht ausreichend. Wir haben als AG Außenpolitik auf dem letzten Bundesparteitag in Bad Homburg einen entsprechenden Antrag zum Umgang mit Autokratien eingebracht, welcher dann vom Parteitag beschlossen wurde. Wir brauchen – und hier zitiere ich unser Programm „eine verstärkte Zusammenarbeit von Demokratien, um sich gegen Autokratien auf allen Ebenen behaupten zu können“ und an späterer Stelle sagen wir, dass „der Einflussnahme dieser Staaten auf Demokratien auf allen Ebenen durch angemessene Maßnahmen entgegenzuwirken“ ist. Ich vertrete zusammen mit der AG Außenpolitik die Meinung, dass man alles tun muss, um wehrhaft gegenüber Terrorgruppen wie der Revolutionsgarde entgegentreten zu können. Und in Bad Homburg haben wir als Piraten noch einmal unterstrichen, dass wir Staaten wie dem Iran und Organisationen wie den Revolutionsgarden die volle Stärke der Demokratien entgegensetzen müssen.
Ein konkretes Positionspapier zur aktuellen Revolution im Iran und dem Verbot der Revolutionsgarden werde ich zusammen mit der AG Außenpolitik für den kommenden Parteitag einreichen.
Du bist Themenbeauftragter für die Europapolitik.
Was verbindet Dich mit „Europa“?
Meine Mutter ist nach dem Einmarsch der Sowjetunion und des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei im Jahr 1968 nach (damals noch) Westdeutschland geflohen. Ich hab meine tschechische Familie erst nach dem Fall des eisernen Vorhangs gesehen. Meine Familie im Iran kann ich dank der Mullahs nicht sehen. Mein kurdischer Vater musste das Land nach der Revolution 1979 verlassen. Ich habe Freunde in der Ukraine. Ich bin ein Kind Europas, denn alleine meine Familiengeschichte zeigt mir jeden Tag, wie wichtig ein gemeinsames Europa ist, das fest zu seinen europäischen Werten wie Freiheit, Würde und Teilhabe steht. Europa bedeutet Vielfalt. Und heute wird uns durch die „Achse der Autokratien“ schmerzhaft vor Augen geführt, wie sehr die Freiheit und Würde der Menschen in Europa durch diese Diktaturen auf vielen Ebenen konkret bedroht wird.
Europa, das sind viele Staaten und Interessen.
Welche Rolle spielt Deutschland für Europa nach Deiner Ansicht?
Deutschland entwickelt sich immer mehr zu einem leider nicht immer verlässlichen Partner für Verbündete. Das Beispiel Nordstream 2 und die gescheiterte Politik gegenüber Moskau zeigen dies deutlich. Deutschland sollte ehrlich seine Fehler aufarbeiten und transparent korrigieren. Hier stehen aber immer noch viele verschiedene Lobbyinteressen dagegen. Nur eine transparente und ehrliche deutsche Europapolitik kann dies ändern. Deutschland muss aufhören, Europa- und Außenpolitik als eine Erweiterung von Wirtschaftspolitik zu sehen. Russland bedroht die Menschen in der EU und führt einen Völkermord an einem Beitrittskandidaten der EU durch. Deutschland sollte hier stärker mit Partnern wie Tschechien oder den Skandinaviern und dem Baltikum schauen, wie man ehrlich Europas Werte politisch leben kann. Wir haben es auch als Piraten entsprechend im deutschen Wahlprogramm zur Außen- und Sicherheitspolitik als Programmlage.
Ein beherrschendes Thema der nächsten Jahrzehnte wird die Klimakatastrophe und die daraus resultierenden Wasserprobleme sein.
Welche Möglichkeiten glaubst Du, hat Europa, hier etwas Positives zu bewirken?
Nur wenn wir das Problem gemeinsam auf europäischer Ebene angehen. Lösungen müssen ohne ideologische Scheuklappen gefunden werden. Das sagen wir deutschen Piraten auch in unserem Grundsatzprogramm zur Wissenschaft und Forschung. Das Thema des Klimawandels ist zu wichtig, als dass ideologische Debatten eine gemeinsame europäische Lösung verhindern oder verzögern könnten.
Ab dieser Europawahl ist das Wahlalter 16 Jahre.
Welches Thema denkst Du, liegt der Jugend besonders am Herzen?
Es gibt nicht „die Jugend“. Die junge Generation ist vielfältig und gemischt. Das Thema „der Jugend“ gibt es nicht. Da sollte man nicht altväterlich seine eigenen Gedanken auf „die Jugend“ übertragen, sondern zuhören und sich mit vielen jungen Leuten austauschen, anstatt „die Jugend“ als Projektionsfläche der eigenen Wünsche zu sehen.
Für den Erfolg ist die Auswahl der Wahlkampfthemen essenziell.
Mit welchen Themen müssen wir unbedingt Wahlkampf machen?
Mit den Themen, bei denen wir eine jahrelange Glaubwürdigkeit haben. Das sind einmal die digitalen Themen, aber dann eben die Themen, welche diese unterstützen und gleichberechtigt sind, wie eben der russische Überfall auf die Ukraine, die aktuelle Revolution im Iran und wie Lobbygruppen des Regimes in Europa und Deutschland versuchen, das Regime auch bei unseren politischen Konkurrenten wie den Grünen zu stärken. Gegen diese Dinge vorzugehen, da haben wir Piraten Glaubwürdigkeit überall in Europa. Hier können wir zeigen, warum gerade heute Piraten mit ihren Forderungen nach Transparenz, europäischen Debatten, einem Ende von Lobbypolitik, dem Kampf gegen Zensur gebraucht werden.
Gibt es ein Thema, das Dir besonders am Herzen liegt?
Die Freiheit der Menschen in der heutigen Europa- und Außenpolitik. Wir wollen als Piraten mehr Europa und eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Für uns sind Freiheit und Menschenrechte universell. Wir sind als Piraten in Deutschland Teil einer internationalen Piratenbewegung. Wir sagen es ja klar in unserer Präambel zum Grundsatzprogramm. Wir Piraten waren immer Teil von jüngeren revolutionären Bewegungen. Piraten sind im Arabischen Frühling führend aktiv gewesen. In Tunesien hatten Piraten ihren ersten Minister gestellt. Der Kampf für die Freiheit der Menschen und das Bekämpfen des Einflusses der „Achse der Autokratien“ auf die Würde und Freiheit der Menschen in Europa werden wichtige Themen für die nächsten Jahre sein.
Welchen Listenplatz strebst Du an?
Wenn ich sehe, wer sich alles bewirbt, haben wir mit Anja Hirschel eine potenzielle und erfahrene Spitzenkandidatin für Europa. Ich will diese Spitzenkandidatin so gut es geht unterstützen. Daher will ich auf einen der vorderen Plätze, denn unsere politischen Schwerpunkte ergänzen sich ideal. Ich wurde von der iranischen Community eingeladen, auf einem Event in Berlin zu reden. Wir Piraten bekommen mit unseren Themen extrem viel Aufmerksamkeit und Zuspruch, gerade auch aus der Community. Daher will ich auf einen vorderen Platz, wo ich glaubwürdig die Kernthemen vertreten und ergänzend unserer Spitzenkandidatin maximalen Rückenwind für ihren Wahlkampf geben kann.
Das Interview wurde offline geführt. Vielen Dank für das Interview an Schoresch Davoodi.
Ullrich Slusarczyk
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.