Hallo Franz,
Du kandidierst für die Europawahl und hast dazu auch sehr umfangreich auf Deiner Wikiseite Stellung bezogen.
https://wiki.piratenpartei.de/Benutzer:FJ
Die ein oder andere Frage stellt sich aber trotzdem.
Was ist ein direktes Initiativrecht des Europäischen Parlaments?
Das Europäische Parlament bzw. jedes Mitglied des Europäischen Parlaments soll direkt Gesetzesvorlagen vorschlagen können, anstatt den Umweg über die Europäische Kommission zu gehen. Derzeit besitzt das Parlament nur ein indirektes Initiativrecht, indem es die Kommission auffordern kann, Gesetzesvorlagen einzubringen.
Du schreibst, dass Du gerne die europäische Förderpolitik mitgestalten möchtest.
Welche Bereiche, auch in Deutschland, müssten Deiner Ansicht nach gefördert werden?
Vor allem Klimaschutz, Verkehrswende und Energiewende. Dabei können Ausschreibungen des EFRE (Europäischer Fonds für regionale Entwicklung) direkt an diesen Themen festgemacht werden, zum Teil passiert dies auch schon, aber dann gibt es wieder so Querschläger wie E-Fuels, die förder-politisch Ressourcen zu ziehen drohen und wissenschaftlich und wirtschaftlich als überholt gelten dürfen. Hier müssen wir der Lobbyarbeit der Politiker, die sich als Sachverständige der Ölindustrie verkaufen, etwas entgegensetzen.
Das Thema Migration und Flüchtlinge gehört ebenfalls zu Deinen Themen, ebenso wie Bildung.
Ich kenne Menschen, die als Pfleger arbeiten, obwohl sie studiert haben und einen Doktor haben.
Wie glaubst Du, kann Europa eine schnellere Anerkennung von Bildungsabschlüssen erreichen?
Ich nehme an, die Frage zielt auf Flüchtende oder Menschen auf Migration ab und nicht auf eine Anerkennung innerhalb Europas (die vergleichsweise gut funktioniert). Bei Anerkennung außereuropäischer Abschlüsse hapert es.
Die TU Berlin hatte ein wunderbares Programm aufgelegt zur Migrationsphase 2015/16 – nämlich das Programm In(2)TU (into TU), an dem ich 2016 selbst beteiligt war. Dort konnten Studienbewerber ohne Papiere und Zeugnisse (HZB etc..) einfach anfangen zu studieren und die Hochschulzugangsberechtigung nachreichen oder eine Eignungsprüfung beim Studienkolleg nachreichen. Eignungstests, die mit kurzen Fragen das Niveau der geforderten Bildungsabschlüsse abfragen, sind dabei ein Schlüsselwerkzeug, mit ihnen ließe sich wunderbar und unbürokratisch ein nicht belegter Bildungsabschluss einstufen. Das sollten alle Universitäten flächendeckend anbieten, um die Anerkennung der bereits erworbenen Abschlüsse zu vereinfachen, so fern dies aus den Unterlagen nicht ersichtlich ist oder Unterlagen verloren gegangen sind.
Ein meiner Meinung nach noch größeres Problem ist die fehlende unmittelbare Arbeitserlaubnis geflüchteter Menschen. Sie sollten unverzüglich die Möglichkeit bekommen, in Deutschland zu arbeiten. Wer vor Ort ist, soll auch arbeiten dürfen. Hier sind bürokratische Hürden, die an die Aufenthaltstitel gekoppelt werden, völlig fehl am Platze.
In Deiner Bewerbung fällt relativ häufig das Wort Lobbyismus. Nun gehen im Europaparlament sehr viele Lobbyisten ein und aus.
Wie können die Piraten den Einfluss der Lobbyisten zurückdrängen oder überhaupt erst sichtbar machen?
Einfach nur stumme Register oder gestreamte Sitzungen helfen da nicht viel. Wir müssen vor allem händisch aufklären, wie die Verquickungen sind und Korruption aufdecken. Eva Kaili und ihr Partner sind sicher nur die Spitze eines riesigen Eisbergs. Hier will ich in die Fußstapfen von Patrick Breyer treten, der ja einige unschöne Abhängigkeiten in seiner Laufbahn, auch vorher schon im Landtag von Schleswig Holstein mit aufgeklärt hat und scharf kommentiert hat. Ich erinnere z.B. an seine pointierte Stellungnahme zur gewonnenen Piratenklage geheimer Rechtsgutachten in SH (https://www.patrick-breyer.de/piraten-klage-zwingt-landtag-zur-veroeffentlichung-geheimer-rechtsgutachten/) oder jetzt in der Causa Kaili (https://www.patrick-breyer.de/tag/korruption/).
Es müsste ein generelles Verbot der Arbeit bei direkten Interessenkonflikten geben. Es dürfte zum Beispiel sehr fraglich sein, ob ein Anwalt, der Verlage juristisch vertritt, Gesetze zum Leistungsschutzrecht machen darf. Hier gibt es nämlich einen ganz klaren und direkten Interessenkonflikt. Nehmen wir das Beispiel Axel Voss (nur als Beispiel!). Er sprach sich lange im Parlament vorbehaltlos für verlagsfreundliche Urhebergesetze aus. Nun, ganz aktuell, will er ein deutlich schwächeres Lieferkettengesetz als die aktuelle Diskussion sich wünscht. Dabei wird mit Praktikabilität argumentiert. Voss war zur DSGVO der Abgeordnete mit den meisten datenschutz-negativen Änderungsanträgen. Er ist außerdem laut eigener Angaben Mitglied im Datenschutzbeirat der Deutschen Telekom und freier Mitarbeiter der Bietmann Rechtsanwälte Steuerberater PartmbB und verdient dort 1000 – 5000 Euro monatlich als Rechtsvertreter. Es geht aber nicht hervor, wen er als Rechtsanwalt dort vertritt.
Auf der Website der Kanzlei wird er als „Anwalt“ beworben, dessen „Tätigkeitsschwerpunkte“ Datenschutzrecht sowie Urheber- und Medienrecht sind. Das sind zufällig Themen, die Voss auch im Europaparlament bearbeitet. Er ist also als europäischer Gesetzgeber sehr nah an seiner anwaltlichen Arbeit. Ein Notar und Anwalt, der einen Kaufvertrag beurkundet, darf dagegen weder den Käufer noch den Verkäufer anwaltlich vertreten. Hier gelten andere Gesetze für Parlamentarier des Europaparlaments, das ist aber nicht in Ordnung und sollte geändert werden.
Hier müsste zum Beispiel unbedingt transparent gemacht werden, wen Axel Voss in welcher Rechtssache genau vertritt. Wir sollten als Piraten über eine Präzisierung der Erklärungen der Europaabgeordneten nachdenken. Diese können aktuell noch sehr allgemein gehalten werden.
Es ist auch fraglich, ob ein Abgeordneter mit mehr als 25 weiteren Tätigkeiten, genug Zeit für das Europäische Parlament aufbringen kann (Axel Voss). Für Angestellte im öffentlichen Dienst muss klar nachgewiesen werden, dass eine Wochenarbeitszeit von 47 Stunden nicht überschritten wird. Warum sind Parlamentarier davon so grundsätzlich ausgenommen?
In jedem Fall ist aber sicherzustellen, dass Nebentätigkeiten, die in Konflikt zur parlamentarischen Tätigkeit stehen, wirklich ausgeschlossen sind oder zumindest bei entsprechenden Gesetzen keine Beteiligung der betroffenen Abgeordneten stattfindet.
Quelle: https://www.europarl.europa.eu/mepdif/96761_DFI_LEG9_rev2_DE.pdf
Du arbeitest im Hochschulbereich. Leider sind Studenten eher wenig bei den Piraten.
Wie kommt das, und kann man da über Europa für mehr Aufmerksamkeit sorgen?
Das ist sehr schade. Es war mir nicht klar, dass uns inzwischen vor allem die Studierenden überproportional verlassen haben. Wenn wirklich Studierende inzwischen unterrepräsentiert sind, dann denke ich, dass dies mehrere Gründe hat: 1. die Kleinparteienlandschaft ist inzwischen stark zersplittert. Viele Bekannte sind zu “Die Partei” gewechselt, weil sie sich dort pointiertere Stellungnahmen erhofften oder zu “Die Linke”, weil sie auf mehr politische Sichtbarkeit hofften. Letzteres ist schon wieder Punkt 2, nämlich dass gerade Studierende ein bisschen darauf schielen, welche Kraft ihre Stimme hat – und somit waren die Piraten nur als starke Kraft interessant. Darüber hinaus folgt vielleicht 3. Impulse in die Hochschullandschaft aus den etablierten Parteien auch über Gewerkschaften wie Verdi, die die Studierenden gerade in die Richtung der etablierten Parteien ziehen.
Hierzu planen wir gerade in der AG Energie eine Vortragsreihe zur Energiewende, die sich u.a. an Mitglieder der Hochschulen und Universitäten richtet und von mir besonders dort in Halle und Berlin beworben wird. Am 21.6. wird Guido Körber den Aufschlag machen, danach berichte ich in einem NN Termin über Wärmespeicher. Hier können wir hoffentlich so kompetent auftreten, dass wir auch wieder an den Unis Menschen überzeugen, uns zu wählen.
Es freut mich aber, dass wir mit Sophie Bendix z.B. eine starke Kandidatin auf unserer Liste haben, die als Mitglied der Uni Halle kandidiert.
Wenn Du gewählt würdest, in welchen Ausschuss / welche Ausschüsse würdest Du gerne?
In folgender Reihung
- Industrie, Forschung und Energie
- Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres
- Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit
- Haushaltsausschuss
- Binnenmarkt und Verbraucherschutz
- Regionale Entwicklung
- Kultur und Bildung
- Auswärtige Angelegenheiten
- Wirtschaft und Währung
Wir sollten vor allem auch auf neue Sonderausschüsse wie damals zur KI hinwirken – und dabei aber sicherstellen, dass nicht wieder Personen wie Axel Voss zu den Experten des Ausschusses avancieren.
Der Wahlkampf ist extrem wichtig. Zumal diese Europawahl ja eventuell die letzte ohne Sperrklausel sein wird.
Mit welchen Themen müssen wir unbedingt Wahlkampf machen?
Hauptthemen, mit denen wir punkten können, sind Klimaschutz (und vor allem erklärender Umweltschutz – wie kommen wir da hin und warum ist das für alle auch finanzierbar?), aber auch Migration. In beidem haben die Grünen nicht das gehalten, was sich viele von ihnen versprochen haben. Hier können wir mit unserer klaren Kante punkten. Zu diesen beiden Themen möchte ich mich selbst im Wahlkampf positionieren und kompetent auftreten.
Verkehrspolitik ist wichtig, da dazu viele Gesetze auf europäischer Ebene entstehen und Verkehr eng mit Klimaschutz verbunden ist. Gleiches gilt für die Energiewende. Hier bin ich beeindruckt von der Kompetenz der AG Energie. Dieses Wissen muss noch stärker politisch sichtbar werden.
Gesundheit hat eine ebenso kompetente AG im Hintergrund, auch hiermit sollten wir sichtbar bleiben.
Digitalisierung und Datenschutz vs. Transparenz bleiben natürlich unsere Kernthemen, die den Piraten auch zugetraut werden. Neu dazugekommen ist jetzt künstliche Intelligenz.
Grundsätzlich sollte jedes nach außen vertretende Thema durch eine starke AG bearbeitet werden und umgekehrt.
Die Klimakatastrophe, sie ist da und sie wird uns für Generationen begleiten.
Kann das Europaparlament einen Beitrag zur Bewältigung der Klimakatastrophe leisten?
Auf jeden Fall, das sind ja Schwerpunktthemen im Europäischen Parlament. Im Europäischen Parlament wird über das Verbrenner-Aus in Europa entschieden, über die Klimagesetze zur Dämmung der Gebäude und über die CO2-Neutralität Europas. Die Förderung kommt zu einem ganz großen Teil aus Europa. Bedenkt man, dass der Notfall-Fonds für Corona vom Europäischen Parlament mit fast 780 Milliarden Euro ausgestattet wurde, dann aber zum Glück davon nur 20 % nachgefragt wurden (weil das Geld jetzt für Klimaschutz zur Verfügung gestellt werden kann), dann sieht man welche Schlagkraft Europa bei der Krisenbewältigung hat. Hier müssen wir nun fordern, dass ein vergleichbarer Notfallfonds für das Klima eingerichtet wird.
Bei der politischen Arbeit sind Gruppen auch in Europa wichtig.
Wie beurteilst Du die thematische Aufteilung in der Fraktion EFA/Greens?
Im Wesentlichen wird die inhaltliche Arbeit durch die Schwerpunkte der Abgeordneten in der Fraktion gesteuert. Patrick Breyer arbeitet aufgrund seiner Kompetenzen in den Ausschüssen Recht und bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres. Letzterer behandelt die für uns bedeutsamen Themen der Demokratie, der Transparenz und teilweise auch der Digitalisierung. In diesem Ausschuss sollten wir schon aus Kontinuitätsgründen, bzw. weil hier unsere Politik im Kern diskutiert werden wird, weiterhin vertreten sein. So wie Patricks Schwerpunkt Recht ist, sehe ich meinen in der Forschung und vor allem der großen Frage einer Energiewende, und wie wir die hinbekommen. Fragen zur Wärmegewinnung und Speicherung der Zukunft, zum Ausbau der Fotovoltaik in Europa und auch das Verbrenner-Aus werden hier diskutiert werden. Deshalb würde ich gerne hier einen neuen Schwerpunkt setzen.
Welchen Listenplatz strebst Du an?
Ich stehe für alle Listenplätze zur Verfügung und werde unabhängig von der Entscheidung der Aufstellungsversammlung einen starken Wahlkampf für die Europawahl 2024 machen.
Das Interview wurde offline geführt. Vielen Dank für das Interview an Dr. Franz Josef Schmitt.
Ullrich Slusarczyk
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.