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Hallo Anja,

Du kandidierst für die Europawahl als eine von 3 Frauen und 10 Männern (Anmerkung der Redaktion: zum Zeitpunkt des Interviews). Das ist ein ziemliches Ungleichgewicht zuungunsten der Frauen.
Haben Frauen Angst vor Europa?
Diese Frage nach der Angst der Frauen wird mir in ähnlicher Weise immer wieder gestellt, auch auf kommunalpolitischer Ebene. Dass dieser Geschlechts-fokussierte Blick bei politisch engagierten Frauen immer noch gerne als Einstieg gewählt wird, ist mir also nicht neu. Gleichzeitig bietet sie natürlich die Gelegenheit, auf ein paar Dinge hinzuweisen, die es verdient haben angesprochen zu werden. Daher möchte ich die Gelegenheit nun nutzen.
Ich habe es selbst erlebt, dass es Faktoren gibt, die es nicht gerade erleichtern, den Schritt in die aktive Politik zu wagen. Und zwar auf allen Ebenen. Dazu muss ich allerdings ein wenig ausholen.
Entsprechend unseren Grundwerten wenden wir das Prinzip der Datensparsamkeit konsequent an: Als Piraten erfassen wir das Geschlecht nicht. Wozu auch? Um politisch gemeinsam aktiv zu sein ist es viel wichtiger, dass unsere Themen und das, wofür wir gemeinsam stehen im Vordergrund sind. Arbeitsgruppen finden sich nach Interessen zusammen. Ämter und Beauftragungen sind in erster Linie Arbeitsaufträge, keine prestigeträchtigen Auszeichnungen.
Konsequenterweise drehen sich viele Gespräche vor Kandidaturen um inhaltliches wie Arbeitspensum, Kompetenzen, Zuverlässigkeit, Erfahrung usw. Das übliche „Kandidatengrillen“ fühlt dabei allen gleichermaßen auf den Zahn. Eine „gläserne Decke“ oder „Altherrenriege mit Seilschaften“ gegen die als Frau zunächst angekämpft werden müsste, ist mir bei uns daher niemals begegnet.
Auf kommunaler Ebene war es bisher immer erforderlich, bei einer Kandidatur seine Privatadresse anzugeben, die dann auch auf den Wahlzetteln erscheint. Ein Unding, das uns regelmäßig viele Motivierte gekostet hat, die dann nicht angetreten sind. Wir Piraten plädieren für informationelle Selbstbestimmung und Datensparsamkeit. Es genügt völlig, unter einer frei wählbaren Adresse erreichbar zu sein, z.B. des Wahlkampfbüros, der Fraktion oder des Vorstandes. So müsste auch niemand befürchten, unerwünschte Post oder Besuche an der eigenen Haustür zu erhalten. Dies betrifft allerdings nicht nur weibliche Bewerberinnen, auch wer z. B. zu einer marginalisierten Gruppe gehört, sich besonders für ein Thema engagiert oder anderweitig polarisiert, sieht sich (und ggf. natürlich auch Partner und Familie) schnell persönlichen Anfeindungen oder Nachstellungen ausgesetzt. Es handelt sich genau betrachtet also gar nicht um ein „Frauenthema“, nur haben bei uns Frauen besonders darauf aufmerksam gemacht und sind dadurch selbst in den Fokus der Diskussion gerückt, warum sie eben nicht antreten möchten.
Ein weiterer Faktor, der gerade während Corona eine völlig neue Betrachtung erfahren hat, ist die Präsenz. Bei uns Piraten ist es seit jeher üblich, dass vieles online organisiert und bearbeitet wird. Teams vernetzen sich und arbeiten unabhängig von zeitlicher und räumlicher Distanz effektiv zusammen. Hybride Veranstaltungen, Aufzeichnungen, kollaborative Tools etc. gehören zu unserer grundlegenden Arbeitsweise. So erleichtern wir Teilhabe. Für alle. Gleichzeitig müssen wir uns der Tatsache bewusst sein, dass dies nicht überall entsprechend gelebt wird. So finden viele politische Sitzungen, Fraktionsbesprechungen, Ausschüsse, Arbeitsgruppen etc. in rein physischer Präsenz statt. Diese Hürde ist bereits auf den kleinen politischen Bühnen zu spüren. Im Falle Europa, also des Europäischen Parlaments, ist dies noch viel weitreichender. Abgeordnete pendeln zwischen zwei Sitzungsorten, Brüssel und Straßburg. Je nach Ausschüssen und Delegationen kommen weitere rege Reisetätigkeiten hinzu. Dies muss zur persönlichen Lebensplanung passen. Denn eins ist klar: Es gibt kein „ein bisschen Europa“. Wer sich bewirbt, und gewählt wird, bekommt eine Aufgabe anvertraut, die es verdient hat und auch fordert, mit voller Hingabe erfüllt zu werden.
Das führt mich zum abschließenden Punkt: die persönliche Abwägung. Zur vorigen AV bin ich bewusst nicht angetreten. Zu dem Zeitpunkt hätte ein solches Mandat nicht zu meiner Lebenssituation gepasst, aus verschiedensten Gründen. Zudem war es mir wichtig, zunächst auf anderer politischer Ebene Erfahrungen zu sammeln. Ich habe in der Zeit viele Gespräche mit allerlei Piraten geführt und eins ist mir als Argument gegen eine eigene Kandidatur niemals begegnet: Angst. Vielmehr ging es oft darum, dass es viele spannende und bereichernde Aufgaben und Dinge innerhalb und außerhalb der Partei gibt, die ein wichtiger Teil des Lebens sind und in einer Abwägung Vorrang haben. Das jeweilige familiäre Umfeld gehört dabei gleichberechtigt mit dazu. Dies nenne ich eine reflektierte Überlegung und Entscheidung von erwachsenen Menschen.
Haben Frauen also nun Angst vor Europa? Aus meiner Sicht kann ich nur sagen: Ich bin keiner einzigen begegnet.
Unsere europäischen Nachbarn sind in Frauenthemen teilweise deutlich besser als Deutschland. Zum Beispiel in Sachen Abtreibung.
Gibt es auf europäischer Ebene Dinge, die speziell für Frauen in Deutschland gemacht werden können?
Durchaus. Gleichzeitig möchte ich vorausschicken, dass dies nicht meine Kernkompetenz ist. Viele Dinge sind bei näherer Betrachtung nicht nur für Frauen, sondern gesamtgesellschaftlich relevant.
Die Frage berührt auf den ersten Blick am direktesten das Sachgebiet des FEMM Ausschusses (Rechte der Frauen und Gleichstellung der Geschlechter). Durch seine Arbeit werden Thematiken, die auch in anderen Ausschüssen diskutiert werden, nochmals mit besonderem Fokus bearbeitet. Doch auch im Bereich Menschenrechte (DROI), öffentliche Gesundheit (SANT), Recht (JURI), Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL) usw. sehe ich wichtige Ansätze. Ganz kurz genannt seien u.a. Verbraucherschutz (Normierung, Sicherheit), Medizin (Zulassung, Forschung, Studieninhalte), Arbeits- und Sozialrecht (Schutzrechte, Rentenpunkte).
Die EU kann Vorgaben beschließen, die ein bestimmtes Niveau für die gesamte EU festschreiben. Diese Leitlinien geben einen gemeinsamen Rahmen vor, der dann vor nationalen Alleingängen einen gewissen Schutz bietet. Je nach Ausgestaltung als Verordnung, Richtlinie, Beschluss, Empfehlung oder Stellungnahme entfalten Sie eine andere rechtliche Wirkung auf die Mitgliedsländer.
Da es in der Frage explizit genannt wurde und ich aufgrund meines Studiums und der Arbeit im Sozialausschuss bereits damit befasst war:
Das Recht auf medizinisch sichere Abtreibung ist für mich nicht verhandelbar.Niemand sollte in die Situation kommen, gesetzlich gezwungen zu werden, einen derart körperlich und psychisch belastenden Vorgang gegen den eigenen Willen durchstehen zu müssen. Unabhängig davon, wie es zu der Schwangerschaft gekommen ist.
Es gibt außerdem selbst in gewollten Schwangerschaften Komplikationen, die ein medizinisches, lebensrettendes Eingreifen erfordern. Beispielhaft erwähne ich hier die Eileiterschwangerschaft, die formal durch eine „Abtreibung“ beendet wird, aber keine Perspektive auf Austragung besitzt.
Grundsätzlich gilt: Durch Verbote werden Schwangerschaftsabbrüche nicht verhindert, aber der Zugang zu sicheren Möglichkeiten verhindert.
Und diese sicheren Möglichkeiten gilt es zu schaffen. Das beginnt bei den gesetzlichen Rahmenbedingungen zu Strafbarkeit und Zugang, über festgeschriebenen Studieninhalte für Mediziner (u.a. Mindestanforderungen bei europäischer Anerkennung der Abschlüsse).
Inwieweit die EU über die Finanzierung und besondere Vorgaben für Kliniken und Geburtshäusern bis hin zur Förderung von Forschungsprojekten usw. eingreifen kann und sollte, müsste ich gesondert recherchieren.
Die Entscheidung für ein Kind muss natürlich ebenso (auch finanziell) unterstützt werden. Ansätze und Möglichkeiten zu EU-weiten Regelungen bezüglich Grundeinkommen ist etwas, das ich gerne näher diskutiert sehen würde.
Vom Stadtrat in das Europaparlament. Das ist ein großer Schritt.
Wo siehst Du den größten Unterschied?
Im Handlungsrahmen und Fokus.
Im Stadtrat wenden wir vorhandene Regelungen an, beantragen Fördertöpfe, kümmern uns um die Umsetzung von Bauvorhaben und Projekten, sind Arbeitgeber des städtischen Personals, sind Aufsichtsräte der städtischen Betriebe uvm. Einerseits sind wir also ganz nah dran an allem, von der Idee bis hin zur greifbaren Umsetzung, andererseits können wir lediglich innerhalb bereits beschlossener Regelungen agieren.
Im Europaparlament werden die Rahmenbedingungen selbst geschaffen. Also die Weichen gestellt, die für viele Länder die Zukunft nachhaltig prägen. Hier geht es um die Richtungsgabe mit breitem Fokus und Blick auf eine zu gestaltende Zukunft bis über den aktuell sichtbaren Horizont hinaus. Immer auch in Bezug auf die nationalen und internationalen Beziehungen und gesellschaftlichen Entwicklungen.
Ich habe gelesen, dass Du Imkerin bist. Bienen haben es heutzutage schwer. Pestizide, Klimakatastrophe und eine zunehmende Betonierung unserer Umwelt.
Welche Möglichkeiten siehst Du, im Europaparlament etwas zugunsten des Klimas, der Natur und der Bienen zu tun?
In Bezug auf Bienen sind es zweierlei Bereiche, die wichtig sind.
Einmal die klassische europäische Honigbiene (apis mellifera), die schwärmende Generalistin, die aufgrund ihrer Bestäubungsleistung bereits als drittwichtigstes Nutztier Deutschlands bezeichnet wurde. Sie ist für die landwirtschaftlichen Erträge elementar wichtig.
Dann die ganzen Wildbienenarten, die Einzelgänger, mit ihren oft recht spezialisierten Anforderung an Nahrungspflanzen.
Beide profitieren davon, wenn genügend geeignete, vielfältige biodiverse Lebensräume zur Verfügung stehen statt Monokulturen und Flächenversiegelung und der Einsatz von Pestiziden gering gehalten wird.
Es wird herzhaft gestritten inwieweit Wildbienen und Honigbienen durch Nutzen derselben Nahrungsressourcen in Verdrängungskonkurrenz stehen. Dieser Punkt ist jedoch dann von besonderer Wichtigkeit, wenn es um die landwirtschaftliche Nutzung von Naturschutzbereichen geht. Hier könnten europäische Forschungsprojekte und Regelungen zur Klärung beitragen.
Um der Überalterung in der Imkerei entgegenzuwirken, könnten attraktive Förderprogramme mehr Menschen an die Thematik heranführen.
Ich erinnere mich an das Thema „geförderte Erstausstattung“ bei Anmeldung über einen Imkerverein, das leider nicht mehr weiter geführt wurde.
Nach aktuellen Zahlen des deutschen Imkerverbandes sind 96 % sog. Freizeitimker, diese leisten mit ihrer Arbeit quasi „nebenbei“ zur Honigerzeugung so viel für die Lebensmittelerzeugung in der EU ohne davon leben zu können.Neben der Bestäubung produzieren Bienen noch weitere Produkte wie Honig, Propolis, Wachs usw. Hier stehen lokale Imker nicht nur in der Pflicht, gewisse Qualitätsstandards zu garantieren, sie stehen auch in wirtschaftlicher Konkurrenz mit „gefälschten Honigen“ aus dem europäischen Ausland, die z. B. mit Zuckerrübensirup gestreckt sein können.
Diverse Krankheiten und Schädlinge (z.B. Varroa) erfordern Behandlungen der Völker mit verschiedenen Mitteln, was ebenfalls Geld kostet.
Es geht also um die Unterstützung der Imker und ihrer Völker, um den Schutz der ganzen Wildbienenarten und ihres Lebensraumes, um die Lebensmittelsicherheit durch genügenden Ertrag durch die Bestäubungsleistung und die Deklaration und Überwachung von echtem Honig im Handel.
Also ein thematischer Schnittbereich des Landwirtschaftsausschusses (AGRI), Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) aber auch Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO).
Ein Sonderausschuss BEE (Bees impact in economy and environment) wäre ein spannender Ansatz dazu.
Klima und Natur sind ein riesiger Bereich. Entscheidungen in diesem Bereich sind unsere Chance, das Klima auf dieser Erde in einem erträglichen, lebenswerten Rahmen für die kommenden Generationen zu erhalten.
Die Treibhausgasemissionen in Europa zu verringern ist richtig, doch es geht noch viel zu langsam voran. Zudem leben wir alle gemeinsam auf einer Erde. Die EU muss ihre Wirtschaftsmacht nutzen, um klimafreundliche Technologien zu fördern und so zum Marktstandard zu erheben. Wenn Innovation und Produktion Hand in Hand gehen, fördern wir einerseits die Wissenschaftsstandorte und generieren andererseits Arbeitsplätze in einer zukunftssicheren Branche. Ein „Abwürgen“ wie bei der Solarbranche inklusive Abwanderung und Abhängigkeit von weit entfernten Herstellern darf nicht noch einmal passieren.
Die Förderung einer nachhaltigen und kreislaufbasierten Wirtschaft ist genau das, was es dann erlaubt endlich das Verschieben von Entsorgungsproblemen in andere Länder zu stoppen.
Allgemeine Regeln zu Produkten, die in der EU vertrieben werden dürfen, können gleichzeitig die in der EU geltenden Standards für Verbraucherschutz, Arbeitnehmerrechte und Umweltstandards bewahren und gegen billiger, aber unethisch produzierte Waren schützen. Hier muss die EU weiter Regeln erlassen, bevor einzelne Länder bilaterale Handelsverträge schließen, die jegliche Bemühungen zugunsten der Umwelt untergraben (Stichwort Freihandelsabkommen, Fracking, etc.)
Die Liste ließe sich noch viel weiter führen. Tierschutzstandards, Regelungen für die Fischerei, Waldplanung, Bodenschutz, Gewässerschutz und vieles mehr steht auf dem Arbeitsplan.
Tatsächlich halte ich den Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) für einen der Ausschüsse, der am direktesten Entscheidungen mit Auswirkungen über die konkreten Überlebensbedingungen auf unserer Erde trifft.
Eine kleine Ergänzung möchte ich mir hier zusätzlich erlauben: Hanf hat vielerlei Vorteile.
Er wächst in einem breiten Klimabereich, kommt ohne den Einsatz von Pflanzenschutzmittel (Herbizide, Pestizide) aus und verbessert zudem den Boden. Gewinnung von Fasern für Kleidung aus Baumwolle oder Papier aus dem Regenwald könnte durch lokalen Anbau von Hanf größtenteils ersetzt werden. Zudem verträgt Hanf Trockenheit und speichert CO₂. Ein idealer, nachhaltiger Rohstoff, besonders in Zeiten des Klimawandels.
Ob als Lebensmittel, Baumaterial, im Bereich Gesundheit oder zum persönlichen Genuss:
Es wird Zeit, dass Hanf endlich legalisiert wird.
Wie beurteilst Du die thematische Aufteilung in der Fraktion EFA/Greens?
Um als Fraktion (policial group) zu gelten, werden 25 MEPs aus mindestens 25 % der Mitgliedsländer (aktuell 7 Länder) benötigt. EFA/Greens besteht aktuell aus 72 Mitgliedern aus 34 Parteien und 23 Ländern.
Unsere piratischen MEPs haben eine sehr intelligente Aufteilung gewählt und schaffen so aus meiner Sicht eine stimmige Abdeckung von Themenbereichen.
Aus den 20 parlamentarischen Ausschüssen befasst sich Patrick Breyer mit JURI (Recht) und LIBE (Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres). Er weiß also am schnellsten über geplante Vorhaben zu unserem Kernthema bürgerliche Freiheiten und Massenüberwachung Bescheid. Zudem besitzt er als ehem. Richter die Fachkompetenz für den Rechtsausschuss.
Marcel Kolaja befasst sich im IMCO (Binnenmarkt und Verbraucherschutz) mit Digitalgesetzen. Zudem ist er in den Ausschüssen CULT (Kultur und Bildung), AIDA (Künstliche Intelligenz im digitalen Zeitalter) und PEGA (Einsatz von Pegasus und ähnlicher Überwachungs- und Spähsoftware). Bei thematischen Überschneidungen finden gemeinsame Sitzungen mit LIBE (s.o.) und INTA (Internationaler Handel) statt.
Dort wiederum ist Markéta Gregorová aktiv. Neben INTA (internationaler Handel) ist sie Mitglied im SEDE (Sicherheit und Verteidigung), SEDE2 (Sonderausschuss zu Einflussnahme aus dem Ausland und Desinformation und für mehr Integrität im EP), AFET (auswärtige Angelegenheiten) und AFKO (konstitutionelle Fragen).
Mikuláš Peksa deckt den Bereich ITRE (Industrie, Forschung und Energie), CONT (Haushaltskontrolle) und ECON (Wirtschaft und Währung) ab.
Damit schlagen unsere vier MEPs einen Bogen von Sicherheit über Handel hin zu Außenpolitik und Wirtschaft.
Ihnen ist damit eine thematische Abdeckung gelungen, vor der ich den Hut ziehe. Die Themenbereiche ergänzen einander und decken unsere Kernkompetenzen ab.
Natürlich gibt es viele weitere Dinge, um die wir Piraten uns kümmern sollten. Daher müssen wir uns anstrengen, um möglichst viele Piraten MEPs ins Parlament zu bekommen und die Arbeit auf mehr Schultern zu verteilen.
Die Themengebiete in Brüssel sind sehr weit gestreut.
Wo würdest Du Deine Hauptaufgabe im Europaparlament sehen?
Meinen politischen Schwerpunkt sehe ich in den bürgerlichen Freiheiten, daher reizen mich in erster Linie besonders der LIBE (Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres) und IMCO (Binnenmarkt und Verbraucherschutz). Als Mitarbeiterin in Patricks Team bin ich mit diesen Bereichen bereits befasst und konnte bei der Arbeit mit Stellungnahmen, NGOs und Entwürfen bereits spannende Eindrücke sammeln.
Zudem kann ich mir den bisher noch nicht besetzten ENVI (Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit) sehr gut vorstellen.
Doch unabhängig von der persönlichen Präferenz geht es als MEP auch darum, eine für uns als Piraten passende Wahl zu treffen. Unser Gesamtportfolio muss stimmen. Denn nur wenn wir in den jeweiligen Entscheidungsgremien sitzen, haben wir die Möglichkeit, Dinge positiv zu gestalten, während sie im Entstehen sind. Unser Fachwissen mit der Expertise all der aktiven NGOs zu erweitern, Debatten anzustoßen und so den politischen Prozess von Anfang an mitzulenken.
Ich sehe meine Aufgabe also darin, all mein Wissen und Können an der Stelle einzubringen, wo ich am meisten mit dem ganzen Piratenteam zusammen bewirken kann.
Eines Deiner Schwerpunktthemen ist der Datenschutz.
Wo siehst Du zu diesem Thema in Europa noch Änderungsbedarf?
Mit der DSGVO haben wir ein nationales Recht für alle. Was wir zudem benötigen, ist eine europäische Ordnungsbehörde für Datenschutz, um Großkonzerne ggf. länderübergreifend sanktionieren zu können.
Den zuständigen staatlichen DSBs müssten auch dann Auskünfte erteilt werden, wenn es sich um Behörden wie die Polizei handelt.
Ganz aktuell sind zudem Themen, welche den Datenschutz und die informationelle Selbstbestimmung gerade auf vielerlei Ebenen angreifen bzw. aushöhlen. Hier nur kurz aufgelistet:
- Die Chatkontrolle: Das automatisierte Durchleuchten der privaten Kommunikation inkl. Auswirkungen auf Verschlüsselung etc.
- Der AI Act: Zentrales Thema ist hierbei die biometrische Massenüberwachung.
- ePrivacy: „Generelle Grundlage“ für Vorratsdatenspeicherung
- EHDS: Europäischer Raum für Gesundheitsdaten (zentrale Speicherung, Zugang für Dritte).
Das Thema Training von Künstlicher Intelligenz mit biometrischen Daten (Gesicht, Stimme) wird im Bereich informationelle Selbstbestimmung ebenso an Wichtigkeit zunehmen wie im Bereich Urheberrecht (mit Bildern oder Musik).
Einem sog. Social-Scoring sollte durch Regeln und Verbote bei Erhebung, Verknüpfung und Verwertung europaweit die Grundlage entzogen werden.
Die Möglichkeiten der Datennutzung schafft zunehmend Potenziale, Menschen innerhalb einer Gesellschaft auszugrenzen und besitzen das Potenzial, unsere Demokratie und Rechtsstattlichkeit zu zerstören. Deshalb:
„Erlaube Deiner liebsten Regierung nur das, was Du auch der am schlimmsten denkbaren Regierung erlauben würdest.“
Auch für das Europaparlament braucht es einen Wahlkampf. Um hier diesmal noch besser abzuschneiden als bei der letzten Wahl, bedarf es einiger Anstrengungen.
Mit welchen Themen müssen wir unbedingt Wahlkampf machen?
Das Programm der European Pirate Party nennt verschiedene Punkte, die ich thematisch in 3 Bereiche zusammenfassen würde:
Digitale Freiheitsrechte: Menschenrechte im digitalen Zeitalter, Freie Software, offene Daten, Netzpolitik, Bildung, Kultur, Forschung und freies Wissen.
Leben, Klima und Umwelt: Landwirtschaft und Fischerei, Umwelt, Klima und Energie, Soziales und Gesundheit, Verkehr, Zivilgesellschaft, Bildung, Kultur, Forschung und freies Wissen, Finanzen.
Internationale Angelegenheiten und Raumfahrt
Zusammengefasst: Freiheit. Klimaschutz. Zukunft.
Für diese Wahl ist das Wahlalter ab 16 Jahren.
Gibt es etwas, das wir speziell für die jungen Wähler machen müssen, um sie von uns zu überzeugen?
- Klar kommunizieren, dass bei uns ein aktives Gestalten und Mitmachen direkt möglich ist, wir gemeinsam eine Kursänderung hinbekommen können, und zwar nicht erst, wenn es bereits zu spät ist.
- Dass wir dafür stehen was wir sagen und uns mit aller Kraft dafür einsetzen.
- Unsere Utopie, für die wir einstehen, geprägt von Freiheit, Teilhabe, Einsatz moderner Technologien zum Nutzen aller.
Piraten sind frei: Wir müssen auf eventuelle Befindlichkeiten nationaler Regierungsparteien keinerlei Rücksicht nehmen. Wir ziehen durch, wofür wir gewählt wurden.
Welchen Listenplatz strebst Du an?
1
Das Interview wurde offline geführt. Vielen Dank für das Interview an Anja Hirschel.
Ullrich Slusarczyk
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.
Eine Kandidatin mit Lebens- und Berufserfahrung, Sie kennt sich in der Politik aus, ist sympathisch und sicher auch sehr menschlich.
Eine Wohltat unter all den echten oder möchtegern Berufspolitikerinnen, die Politik als Beruf ansehen anstatt als eine ehrenhafte Aufgabe.
Solche Leute braucht man!