Moin Sven,
Du bist zusammen mit Lukas einer der jüngsten Kandidaten im ganzen Feld. Eine Deiner Spezialisierungen ist dabei die Bildung.
Wie kann uns Europa helfen, die Bildung in Deutschland zu verbessern?
In erster Linie unterliegt die Bildung natürlich nationaler Zuständigkeit. Jedoch kann Europa
als eine Art Katalysator dienen, indem es Ressourcen, Netzwerke und Plattformen zur
Verfügung stellt, die den Austausch und die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene
fördert.
Dabei können wir gerade durch den Austausch bewährter Praktiken und Erfahrungen
zwischen den Bildungssystemen europäischer Länder neue Ideen und Ansätze entwickeln.
Auch Programme wie Erasmus+ ermöglichen es, dass sich Lehrkräfte und
Bindungsexperten international austauschen und voneinander lernen können.
Zudem kann die Investition in Bildungsinitiativen und -projekte die Weiterentwicklung des
deutschen Bildungssystems fördern. Auch die größere Förderung von Stipendien und
Austauschprogrammen kann hier das interkulturelle Verständnis fördern und die Perspektive
auf Europa erweitern.
Europa kann außerdem die Harmonisierung von Bildungsstandards und -qualifikationen
unterstützen. Dies erleichtert die Vergleichbarkeit von Abschlüssen und ermöglicht eine
bessere Anerkennung von Bildungsleistungen über Ländergrenzen hinweg. Ein
gemeinsamer europäischer Rahmen kann dabei zur Qualitätssicherung des
Bildungssystems beitragen.
In Deinem Bewerbungsvideo sprichst Du davon, eine Abkehr von Europa verhindern
zu wollen.
Wie willst Du das machen?
Es gibt viele populistische Stimmen gegen Europa, das geht so weit, dass einige Menschen
bereits einen “Dexit” fordern. Mit der steigenden Popularität und Normalisierung von
Parteien wie der AfD finden auch solche Ideen in der Mitte der Gesellschaft Platz. Wichtig ist
es, gegen die Nachteile der EU, wie dass der Europäische Rat zu wenig demokratisch
legitimiert ist, oder das fehlende Gesetzesinitiativrecht des Europäischen Parlaments, mittels
politischer Bildung vorzugehen.
Wichtig ist dabei auch die Vorteile der Europäischen Gemeinschaft zu betrachten. Die enge
Bindung an Europa bringt wirtschaftliche Vorteile mit sich. Durch den Zugang zum
EU-Binnenmarkt können deutsche Unternehmen von einem erweiterten Kundenstamm
profitieren und leichter Handel treiben. Auch bieten europäische Förderprogramme
finanzielle Unterstützung für Infrastrukturprojekte und Innovationen.
Auch die Stabilität und Frieden, der durch die Europäische Union gewonnen wurde, müssen
betont werden. Durch die Zusammenarbeit und Integration der Mitgliedstaaten haben sich
die Beziehungen verbessert und Konflikte innerhalb Europas sind seltener geworden. Auch
viele der globalen Herausforderungen wie Klimawandel, Migration, Terrorismus und digitale
Transformation erfordern länderübergreifende Zusammenarbeit. Hier können und müssen
wir mitwirken.
Es gilt aufzuklären und eine starke Stimme für die europäische Gemeinschaft zu erheben.
Klar für den Austausch von Ideen, Perspektiven und kulturellen Erfahrungen. Dafür müssen
wir Offenheit, Toleranz und Verständnis fördern. Wir müssen klar artikulieren, was für fatale
politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen eine Abkehr von Europa hätte.
Du sprichst in Deinem Video die Parteienfinanzierung an und dass diese gesichert
werden muss.
Wie hilft Deine Kandidatur dabei?
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir zu dieser Europawahl alles geben müssen. Ich habe
mir mit meiner Kandidatur Zeit gelassen und reiflich überlegt. Dabei habe ich natürlich auch
die anderen Kandidierenden verfolgt und mich gefragt: „Was kann ich eigentlich beitragen?“
Dabei ist mir aufgefallen, dass mein Herzensthema, die Bildung, bisher nur selten erwähnt
wurde. Dabei ist neben unseren Digital- und Bürgerrechtsthemen, Bildung einer unserer
piratigen Grundsätze. Außerdem wird die Akquise der jungen Wählerschaft bei dieser Wahl
von Bedeutung sein. Und als jemand, der sich selbst mit 16 Jahren stark politisiert hat, kann
ich erzählen, wo ich zu der Zeit war. In der Schule und habe für Bildung gekämpft.
Daher möchte ich mit meinem Herzensthema unseren Wahlkampf unterstützen und
erweitern und den Menschen zeigen, wie vielseitig wir Piraten sind.
Ich bin überzeugt, dass wir mit Vielfalt, Frische und Zusammenarbeit, Mandate gewinnen und die
Parteienfinanzierung sichern können.
Du sagst in dem Video, Europa braucht Veränderung.
Welche Veränderung wäre das?
Die Fragen, wie man Europa und die Europäische Union verbessern und demokratischer
gestalten kann, ist komplex und eigentlich kontinuierlich Gegenstand von Diskussion und
Debatten. Ein erster Schritt wäre die Stärkung des Europäischen Parlaments. Es ist das
einzige direkt gewählte Organ der Europäischen Union. Hier sollten wir die Rolle und
Befugnisse des Parlaments weiter ausbauen. Das könnte eine größere
Mitentscheidungsbefugnis in legislativen Angelegenheiten und größere Transparenz
beinhalten.
Außerdem könnte die stärkere Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an den
Entscheidungsprozessen der Europäischen Union, die demokratische Legitimität fördern.
Das könnte durch die Einführung von Mechanismen wie Volksabstimmungen zu bestimmten
europäischen Themen, öffentliche Konsultationen oder, und da sehe ich uns dazu berufen,
durch die Nutzung digitaler Plattformen zur Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger.
Spätestens nach dem Korruptionsskandal von Ex-Vizepräsidentin Kaili benötigen wir auch
eine transparentere Entscheidungsfindung und eine erhöhte Rechenschaftspflicht der
europäischen Institutionen, um das Vertrauen der Menschen wiederzugewinnen. Es wird
Zeit, die Offenlegung von Lobbytätigkeiten, die Verbesserung von Zugängen zu Dokumenten
und Informationen der EU-Institutionen und die Einführung für verbindliche Ethikregeln für
Amtsträger, durchzusetzen.
Da Du für Europa kandidierst.
Was verbindet Dich mit „Europa“?
Ich glaube, die „einfachste“ Antwort auf diese Frage ist, dass ich als Europäer geboren und
aufgewachsen bin. Die kulturelle Vielfalt, die Geschichte und die Traditionen Europas prägen
mein Denken und meine Werte. Aber auch die gemeinsamen europäischen Werte, wie
Demokratie, Freiheit, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit prägen meine Identität.
Ich bin Student der Geschichtswissenschaften. Wenn Europa eines hat, dann eine bewegte
Geschichte, geprägt von Kriegen und Konflikten. Europa fasziniert mich. Was mich aber am
meisten fasziniert, ist, wie die Europäische Union Frieden und Zusammenarbeit nach
Europa gebracht hat. Die Idee einer engen Zusammenarbeit und Integration, um
gemeinsame Herausforderungen anzugehen, ist für mich von großer Bedeutung.
Auch hat mich Europa privilegiert. Ich habe die Möglichkeit in verschiedene europäische
Länder zu reisen, zu studieren, zu arbeiten und zu leben. Außerdem hat mich das Konzept
von starren nationalen Grenzen schon immer abgeschreckt. Für mich ist es nicht wichtig, in
welchem Land ein Mensch geboren ist, lasst uns das Beste aus Europa und unserem Leben machen. Lasst uns Offenheit, Demokratie und Zusammenarbeit leben. Ich bin Europäer und
damit ein Teil von Europa.
Ein Teil Deines Mottos ist: Beeinflusse Du Europa.
Wie hast Du Dir das vorgestellt?
Es ist wichtig, das Denkmuster von „die da oben“ aufzubrechen. Die Institutionen Europas
menschlicher zu machen. Wir müssen die Menschen in einer Demokratie beteiligen und
mitnehmen. Wir müssen vermitteln, dass die Stimmen der Europäer zählen, dass ihre
Stimmen etwas verändern können.
Wie bereits beschrieben, müssen wir die Bürgerbeteiligung fördern und die Zugänglichkeit
zu europäischen Mechanismen vorantreiben. Wir müssen das Europäische Parlament
stärken und so die Stimme der Menschen bekräftigen. Am wichtigsten ist es jedoch, den
Diskurs zu suchen. Mit den Menschen zu sprechen und aufzuklären.
Auch ich wurde durch die Artikel 13/17 Demonstrationen erst demotiviert. Ich habe damals
als Kind auf der Straße gestanden und mir die Seele aus dem Leib gebrüllt. Es waren so
viele Menschen zu “SafeYourInternet” auf der Straße, es gab so viel Bürgerengagement und
das Gesetz wurde trotzdem umgesetzt. Auch wenn es später juristisch in der Form gekippt
wurde. Sowas darf nicht passieren. Aber ich habe nicht aufgegeben und mir gesagt „Das
ändern wir.“ Konkret müssen wir durch bereits erwähnte Veränderungen die Europäische
Union nahbarer und demokratischer machen. Die Menschen müssen verstehen, dass ihre
Stimme zählt. Europa beeinflusst nicht nur ihr leben, sondern sie können auch Europa
beeinflussen. Man muss nur aufstehen und es wollen.
Wenn Du gewählt werden würdest.
Wo würdest Du Deine Hauptaufgabe im Europaparlament sehen?
Die Ausschüsse, die mich besonders interessieren würden, wären CULT (Kultur und
Bildung), LIBE (Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, als auch potenziell der
Unterausschuss DROI (Menschenrechte).
Dabei möchte ich mit NGOs und Experten zusammenarbeiten, die Prozesse begleiten und
transparent darstellen. Vor allem möchte ich aber eines erwirken: dass der Mensch immer im
Mittelpunkt steht.
Ich möchte also da arbeiten, wo ich meine Interessen und Kompetenzen sehe und am
besten das internationale Team aus Piraten unterstützen kann. Außerdem stehe ebenso im
Fokus, die Zusammenarbeit zwischen MEPs und Bundesverband weiter zu stärken.
Der Wahlkampf wird von entscheidender Bedeutung sein.
Wie und mit welchen Themen sollten wir ihn führen?
Digitale Freiheitsrechte und Netzpolitik, Bürger- und Menschenrechte, Bildung, sowie
Umwelt und Klimaschutz sollten im Mittelpunkt stehen und entsprechende Kernpunkte von
Kandidaten mit Begeisterung getragen werden. Ich glaube, dass unser Programm bereits
fortschrittlich ist und unsere Themen so aktuell wie noch nie. Die Herausforderung wird es,
diese Themen an die Bürger:innen zu vermitteln. Dafür brauchen wir neue Aktionsideen und
eine kreative Herangehensweise an den Wahlkampf.
Das Wahlalter für diese Wahl ist 16 Jahre.
Was glaubst Du, wird die jungen Wähler am ehesten überzeugen, die Piraten zu
wählen?
Wir müssen vermitteln, dass man sich bei uns wirklich beteiligen kann. Die Idee der
Basisdemokratie, die Chance mitzumachen, bevor ich 20 Jahre in einem Stadtverband
verbracht habe, regte mich an, Pirat zu werden. Viele junge Menschen möchten die Welt um
sich herum konkret verändern, das ist definitiv ein Anreiz. Außerdem ist die netzpolitische
Gemeinde doch in vielen Fällen genau in dem jungen Alter, die eigentliche Herausforderung
ist es, auf uns aufmerksam zu machen. Ich bin überzeugt, unser Programm erledigt den
Rest. Wir müssen aber auf jeden Fall eine Alternative darstellen. Die jungen Menschen sind
enttäuscht, enttäuscht von leeren Versprechungen und unwissenschaftlicher Politik. Wenn
wir glaubhaft rüberbringen, dass wir es ernst meinen. Dass wir anders sind. Dass wir Politik mit
den Menschen im Mittelpunkt schaffen, dann gewinnen wir das Vertrauen.
Welchen Listenplatz strebst Du an?
Ich strebe einen Listenplatz zwischen 3 und 5 an. Ich sehe von einer Spitzenkandidatur ab, da
wir bereits wundervolle und wirklich kompetente Spitzenkandidaten vorweisen können. Ich
hoffe, dass ich dort unterstützen kann, wo mich die Partei braucht und zu beruft.
Das Interview wurde offline geführt. Vielen Dank für das Interview an Sven Bechen.
Ullrich Slusarczyk
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.