Moin Frank,
wir kennen uns ja bereits aus der nonPOG-Zeit und auch von Save Your Internet persönlich. Du bist jetzt im Stab von Patrick in Brüssel tätig als Mitarbeiter. Das bedeutet, Du hast schon einiges an Erfahrung und kennst vermutlich auch einige Leute.
Wie gut bist Du in Brüssel vernetzt?
Ich habe im Frühjahr 2020 angefangen, gerade einmal 6 Wochen vor dem ersten Lockdown. Das war in der ersten Zeit nicht einfach, über Email und Videokonferenzen Kontakte aufzubauen, aber inzwischen läuft es sehr gut. Geholfen hat auch, dass ich vorher schon oft in Brüssel war und viele NGOs schon kannte.
Wie wichtig ist es in Brüssel, wenn man gut vernetzt ist und Leute kennt?
Gute Vernetzung ist in der Politik überall wichtig. Wie gesagt, einige NGOs kannte ich schon und der Rest ergibt sich mit der Zeit. Auch zur Kommission und zu den Vertretungen der Mitgliedsländer sind Kontakte wichtig, die man sich aber teilweise hart erarbeiten muss.
Save your Internet hat gezeigt, dass der Lobbyismus in Brüssel, wie man an Axel Voss sehen konnte, ziemlich stark ist.
Was denkst Du, könntest Du dagegen unternehmen?
Lobbyarbeit ist tatsächlich sehr stark ausgeprägt in Brüssel. Das kann hilfreich sein, wenn Verbände auf mögliche Auswirkungen der teilweise sehr komplexen Gesetzesregelungen hinweisen. Aber es ist wichtig, alles zu hinterfragen, was einem als vermeintliche Problemlösung oder auch mögliche ‘gefährliche Auswirkung’ eines eigenen Änderungsvorschlags mitgeteilt wird. Transparenz ist wichtig und eine Maßnahme um Lobbyismus erkennbar zu machen ist der legislative Fußabdruck. Damit ist die Auflistung aller Maßnahmen und Einflussnahmen, also auch Treffen mit Lobbyisten, gemeint, die zu dem letztlich zur Abstimmung stehenden Gesetzestext geführt haben. Das machen einige schon freiwillig, aber eine Verpflichtung wäre hier notwendig. Dann gibt es das EU Lobbyregister und gerade wird diskutiert, dass Abgeordnete und Mitarbeitende sich in der Regel nur noch mit dort registrierten Verbänden treffen sollen und diese Treffen jeweils auch transparent machen. Das ist im Prinzip hilfreich, aber auch hier gibt es eine Vielzahl von Umgehungsmöglichkeiten und am Ende hilft nur Bauchgefühl und eigene Erfahrung, um diejenigen Industrieinteressen, die gegen die Menschen gerichtet sind, zu erkennen und wenn möglich zu verhindern.
Wir sind beide relativ offensiv gegen teilweise völlig überzogene Polizeigesetze in unseren Bundesländern vorgegangen.
Was denkst Du, kann da von Europa aus gemacht werden?
Gesetzgebung zu Strafverfolgung und Gefahrenabwehr ist nach wie vor den Mitgliedsstaaten vorbehalten. Allerdings gibt es einige europäische Richtlinien, die langfristig die Vereinheitlichung dieser Gesetzgebung zum Ziel haben. Darin enthalten sind z.B. Berichtspflichten, auf die man aufbauen kann. Dann, sobald Europol im Spiel ist, gibt es die JPSG (Joint Parlamentary Scrutiny Group), das ist ein Dauer-Untersuchungsausschuss der Parlamente der EU-Mitgliedsländer und des Europäischen Parlaments zur Überwachung von Europol. Den Ausschuss gibt es erst seit 2017 und er tagt nur zweimal im Jahr. Piraten/Grüne sind hier jedoch die treibende Kraft, um mehr Licht in die europäische Polizeiarbeit zu bringen. Der Weg von dort zu den Polizeien in den deutschen Bundesländern ist allerdings sehr lang.
Interpol ist in der Vergangenheit gerne mal missbraucht worden, mit sogenannten “Red Notice” Meldungen. Auf der Grundlage solcher Meldungen wurden zum Beispiel unliebsame Personen vorläufig festgenommen. Verursacher war z.B. die Türkei, die Kritiker so mundtot machen wollen. https://www.tagesschau.de/ausland/interpol-rednotice-103.html
Wie kann dieser Missbrauch verhindert werden?
Verhindern kann das Europäische Parlament das sicher nicht, denn es sind die Staaten, die diese ‘Fahndungen’ über Interpol ausschreiben. Allerdings verhandelt in Europa gerade die Europäische Kommission über eine Kooperation mit Interpol und in dem Rahmen hat das Parlament Forderungen aufgestellt, die die Kommission bei den Verhandlungen berücksichtigen soll. Dazu gehört auch die Prüfung von “Red Notices”. Im Rahmen solcher Verhandlungen gibt es auch Berichtspflichten gegenüber dem Parlament und so kann das Parlament über Transparenz und Öffentlichkeit helfen, missbräuchliche Verfahren publik zu machen und damit gegebenenfalls für die Zukunft zu erschweren.
Aus Deiner jetzigen Sicht in Brüssel.
Wo würdest Du Deine Hauptaufgabe im Europaparlament sehen?
Ich weiß nicht, ob ich die Frage richtig verstehe, denn die Aufgaben der Abgeordneten sind ja klar definiert: die Vertretung der Interessen der Menschen in Europa in den Beratungs- und Gesetzgebungsverfahren gegenüber Kommission und Rat. Damit ist die wöchentliche Arbeitszeit von 60+X Stunden schon gut gefüllt. Dazu kommt dann, die Entwicklungen und Entscheidungen in der ‘Bubble Europa’ den Menschen im Land und in der Partei zu vermitteln und sie im Idealfall auch einzubeziehen. Mit letzterem sind wir bisher regelmäßig gescheitert, wegen Prioritätensetzung und weil es einfach zu viele Aufgaben für zu wenige Menschen sind. Dennoch würde ich es auch nochmals versuchen wollen.
Wenn Du gewählt würdest, in welchen Ausschuss / welche Ausschüsse würdest Du gerne?
Also da würde der LIBE Ausschuss, in dem ich auch jetzt arbeite, sicher ganz oben auf der Liste stehen. Auch wenn es einer der arbeitsintensivsten Ausschüsse ist, die Themen ‘Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres’ umfassen quasi alles, für das ich Pirat geworden bin.
Das Wahlalter ist für diese Wahl auf 16 Jahre gesetzt.
Wie können wir die jungen Wähler für uns einnehmen?
Das ist eine spannende Frage, auf die ich sicher noch keine passende Antwort habe. Auf jeden Fall kennt diese Generation keine Welt ohne Smartphone oder Whatsapp und kennt auch nur ein weitestgehend friedliches Europa der offenen Grenzen. Der Krieg in der Ukraine zeigt den jungen Wählenden aber gerade brutal, dass Frieden nicht selbstverständlich ist. Hier sollten wir motivieren und zeigen, dass es wichtig ist sich einzusetzen, die Stimme zu erheben, für Frieden, für Klimaschutz, für Gerechtigkeit und für ein offenes und freies Internet. Wir haben schon einiges erreicht, aber die nächsten 5 Jahre werden in der Digitalpolitik besonders wichtig, denn die Macht der großen Digital-Konzerne verfestigt sich stetig und konnte bisher nicht gebrochen werden. Einige wenige haben schon gemerkt, was es bedeutet, plötzlich ohne Account und ohne Zugang zu den digitalen Kontakten dazustehen. Und ich denke, es werden mehr werden, denn die Regeln bestimmen die Plattformen und nicht die User. Das sollten wir uns so aber nicht diktieren lassen und ich denke, gerade Jugendliche können das nachvollziehen. Freiheit und Selbstbestimmung sind Werte, die es zu verteidigen und in der digitalen Welt durchzusetzen gilt, für uns alle. Für die Sechzehnjährigen und deren Zukunft braucht es eine coole Partei, die sich da auskennt: Piraten!
Mit welchen Themen müssen wir unbedingt Wahlkampf machen?
Freiheit, Würde, Teilhabe, das waren die Themen der vergangenen Europawahl und die sind nach wie vor relevant. Ich würde noch Respekt und Gemeinwohl/Gemeinsinn mit dazu nehmen, denn wir brauchen mehr Miteinander, mehr gemeinschaftliche Verantwortung, um Klimawandel zu managen, um z.B. mehr genossenschaftliches Wohnen zu organisieren und um offenes und freies Internet zu sichern. Chatkontrolle und Vorratsdatenspeicherung werden ganz sicher auf der Tagesordnung des nächsten Parlaments stehen. Ich mag mir nicht vorstellen, was passiert, wenn dann keine Piraten mitgestalten!
Welchen Listenplatz strebst Du an?
Ab Nr. 3 und tiefer. Natürlich würde ich sehr gerne für die Piratenpartei Abgeordneter sein. Aber ich bin auch Realist. Wir haben Chancen auf einen, vielleicht zwei Sitze im Europäischen Parlament und wir haben mindestens zwei KandidatInnen, die die Öffentlichkeit und die Wählenden mehr und besser begeistern können, als ich das jetzt könnte. Da sichere ich dann lieber den Nachschub;-)
Das Interview wurde offline geführt. Vielen Dank für das Interview an Frank Herrmann.
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.