Du schreibst in Deiner Bewerbung, die Piratenpartei ist eine 0,3 % Partei. Das stimmt. Du schreibst auch, dass, wenn wir alle zusammenhalten, sich die Kandidaten nicht alleine ihre Wähler besorgen müssen.
Wie genau meinst Du das?
Die Europawahl und unsere Vielzahl an Kandidaten stellt für uns deutsche Piraten eine riesige Chance dar, die wir nutzen müssen, um unsere Wahlergebnisse entscheidend zu verbessern. Und wenn wir das schaffen, reicht es womöglich auch für 3-5 Kandidaten, ins Europäische Parlament zu kommen. Das können wir aber nur dann, wenn wir die uns persönlich nahestehenden Wählergruppen ansprechen und ihnen Lösungen für ihre Probleme bieten. Aus meinen Lebensbereichen kenne ich folgende Gruppen, mit denen ich reden und denen ich helfen kann: Freiberufler aller Arten, die keine Topverdiener sind, Grundsicherungsrentner, denen ihre Bürgerrechte aberkannt wurden in dem Augenblick, als sie mit ihrer geringen Rente in die Grundsicherung gerieten, denn Bürgergeld erhalten sie nicht! Und Psychiatrie geschädigte, depressive und ganz allgemein Menschen, die nicht funktionieren wie Maschinen und Brüche in ihrer Lebensbiografie aufweisen. Das sind all diejenigen, denen ich helfen kann, durch piratige Politik, entsprechende Gesetzesänderungen u.v.m., weil ich ein Teil von ihnen bin und sie verstehe.
Ihr anderen Kandidaten, sagt mir doch bitte auch, welchen Gruppierungen ihr nahe steht und wem ihr konkret helfen könntet, so denn wir an die Macht kämen? Das würde ich dann Zusammenhalt nennen.
Zusammenhalt nenne ich aber auch, sich mit der europäischen Piratenpartei (PPEU) zu vernetzen, den zahlreichen, oftmals viel kleineren europäischen Piratenparteien Beistand zu leisten und deren aktive Mitglieder viel besser kennenzulernen. Das macht uns groß! Ich bin im Vorstand der europäischen Piratenpartei und habe das Glück, zu erfahren, wie es den anderen geht und welche Probleme sie haben. Aber auch, dass Wahlerfolg nicht immer an die Mitgliederzahl geknüpft ist, sondern eine 300-Mitglieder-Partei oftmals bessere Wahlerfolge erzielen kann, als unsere deutsche 7700-Mitglieder-Partei. (Hier passt mit Verlaub das Zitat von Anja Hirschel rein: “One little pirate can change a whole discussion” and maybe more!)
Zusammenhalt würde ich auch nennen, wenn Eure deutsche Vertrauenspiratin sich als EU-Kandidatin aufstellt und sagt: Ich werde auf jeden Fall Eure Vertrauenspiratin bleiben und mich weiterhin um Eure Probleme kümmern! Auch eine Zusammenarbeit mit den deutschen Piraten in allen Gliederungen ist mein Ziel und mein Versprechen. Ich bin halt so eine Gemeinschaftstype. Und verteidige meine “Sippe” wie ein Puma. So gut ich kann!
Außerdem schreibst Du, dass wir wie die Tschechen und Luxemburger enger mit unseren Wählergruppierungen zusammenarbeiten sollten.
Wer sind denn unsere Wählergruppierungen?
Ja, klar! Keiner wird uns wählen, auch wenn wir noch so strahlende “Private Dancers” sind, die Leute wollen auch mitgenommen werden auf die Reise und teilhaben! Sharing is caring! Das konnten wir alles schon mal besser.
Als Vorstandsmitglied der PPEU bin ich (gemeinsam mit Veronika von den TschechInnen) für die Finalisierung des CEEP, des Common European Election Programmes eingeteilt. Die Texte, die in verschiedenen Themenkapiteln von Mitgliedern aller europäischen Piratenparteien erstellt wurden (zu finden im: https://discourse.european-pirateparty.eu/) sollen so geworded sein, dass auch andere Piratenparteien damit einverstanden sein können. Ein Kompromiss und ein gemeinsamer Nenner wird das Ergebnis sein. Und es soll nicht nur uns gefallen, sondern auch den WählerInnen der tschechischen Piratenpartei. Dafür kämpfen die TschechInnen. Und wenn wir ein Basic Income haben wollen oder eine andere Asylpolitik, dann machen wir das beispielsweise zusammen mit den NiederländerInnen. Und was die Luxemburger Piraten wollen, kann man am besten auf der wunderbaren FB-Seite: Piraten.Lu Info Grupp https://www.facebook.com/groups/751404418664910 finden, oder Piraten Letzebuerg https://www.facebook.com/Piratepartei.
Jetzt zur eigentlichen Frage: Wer unsere Wählergruppierungen sind, erfahren wir auf unserer gemeinsamen Aufstellungsversammlung! Meine hab ich ja schon genannt. Oder wir gehen in uns und fragen uns, wem wir eigentlich helfen können. Und dann können wir ja schauen, was die Luxemburger für Wählergruppierungen ansprechen und wir können uns überlegen, ob diese Gruppen vielleicht auch bei uns noch ohne richtigen Beistand sind :).
Du schreibst, dass Aufklärung dringend nötig ist.
Was kann das Europaparlament da tun?
Das Europaparlament hat viele Ausschüsse. https://www.europarl.europa.eu/committees/en/home. Mit meiner Interessenlage wäre ich für das “EMPL-Committee, Employment and Social Affairs” prädestiniert. Auch für die Ausschüsse “AFET, Foreign Affairs”, “REGI, Regional Development” und “INGE, Special Committee on Foreign Interference in all Democratic Processes in the European Union, including Disinformation” wäre ich qualifiziert.
Der EMP-Ausschuss machte gerade bekannt:
“Am 8. Juni diskutierten Mitglieder des Ausschusses für Beschäftigung und Soziales über die erwarteten Auswirkungen der Kohäsionspolitik 2021–2027. Zu den in der Kohäsionspolitik festgelegten Zielen gehört die Förderung eines sozialen und integrativen Europas, insbesondere durch den ESF Plus, mit dem Ziel, in Menschen durch die Entwicklung digitaler Kompetenzen zu investieren, Umschulung und Weiterqualifizierung sowie integrative und nachhaltige Arbeitsmärkte und hochwertige Arbeitsplätze zu fördern.
Es wird erwartet, dass die Kohäsionspolitik bis 2027 fast 850.000 Unternehmen und 6,5 Millionen Arbeitslose (davon 800.000 Langzeitarbeitslose) unterstützen und zur Schaffung von 1,3 Millionen zusätzlichen Arbeitsplätzen beitragen wird.” (Kohäsionspolitik ist Politik, die den Zusammenhalt fördert. Anm.d.V.)
Solche Dinge kann das Europäische Parlament tun.
Aufklärung indes kann nur aus den Mitgliedstaaten kommen, die ihre verschiedenen Regelungen und Gesetze beschreiben.
Genau das erkläre ich ja in meiner Bewerbung, wenn ich sage: “Die Unkenntnis unseres hochparzellierten Sozialsystems in allen Teilen der Bevölkerung und die Verweigerungshaltung, sich mit diesen “unappetitlichen” Themen zu befassen, hat uns im BGE-Mumble dazu veranlasst, eine Zusammenfassung der deutschen Sozialleistungen zu erstellen. Und genau darum habe ich auch die anderen europäischen Piratenvertreter gebeten.”
Dies kann ich tun, weil ich sie treffe, online, mit ihnen diskutiere, über Themen, die uns alle betreffen. Ich kann ihre Standpunkte erfahren, bspw. zur Asylpolitik und ich kann sie bitten, ebenfalls wie wir deutschen Piraten, eine Zusammenfassung ihres Sozialsystems zu erstellen. Und das können wir dann lesen und vergleichen.
Dementsprechend konnte ich dabei lernen, dass selbst die neue faschistische Regierung in Italien, die viele Sozialschecks einschränken oder abschaffen will, sich im Gegensatz zur deutschen Politik nicht an den Rentnern über 67 ohne Wohnungseigentum vergreift. Dort wird sozialpolitisch betrachtet, so ziemlich allen Menschen die Würde genommen, aber nicht den Rentnern ü 67. Die behalten ihre Schecks und bekommen noch eine Zulage on top. Und interessanter Fun Fact: Ich persönlich würde mich als Rentnerin in Italien besser stellen als in Deutschland. Man stelle sich das vor!
Ich bin(war): weiblich, katholisch, vom Land. Ich habe mein Leben als alleinerziehende Mutter von zwei Kindern verbracht, die schon während meines Grundstudiums geboren sind. Ich konnte dennoch dank Bafög-Stipendium in Taiwan an der “Taiwan Normal University” Chinesisch studieren. Nach Beendigung meines Studiums in 3 Fächern wurde ich freiberufliche Filmübersetzerin und Autorin. Trotz großen Erfolges konnte ich aufgrund von Auftragsschwankungen nur eine bestimmte monatliche Summe in die Künstlersozialkasse einbezahlen. So gehöre ich jetzt zu der Gruppe derjenigen, die trotz 35 Jahren Beitragszahlung keine Grundrente erhalten.
Vergleichbare soziale Regeln in ganz Europa ist ein hehres Ziel. Aber das soziale Gefälle ist auch in der EU ziemlich groß.
Wie willst Du das erreichen?
Ich denke, diese Frage habe ich schon in Punkt 3 beantwortet. Kohäsion ist das Zauberwort.
Welche Rolle spielt Deutschland für Europa nach Deiner Ansicht?
Deutschland ist der Bleiklotz mitten in Europa. Deutschland hat durch seine Finanzkraft großen, schweren Einfluss. Wenn Deutschland sich dynamisiert, wird das auch Europa beeinflussen. Wir haben Altlasten und Lobbygruppen (Bahn, Post und Neuland – nur als Metapher gemeint), die Entwicklungen und Fortschritt behindern. Deutschland ist nur mithilfe von Europa modernisierbar, Europa ist stärker als Deutschland. Europa wird uns auch dabei helfen, wenn es um vergleichbare soziale Regeln in Europa geht, unser “hochparzelliertes” deutsches Sozialsystem einfacher und gerechter zu gestalten. Merci dafür, Europa!
Das Wahlalter beträgt ab dieser Wahl 16 Jahre.
Was müssen wir tun, um die jungen Wähler von uns zu überzeugen?
Es wurden hier auf der Liste schon viele tolle Vorschläge gemacht. Ich kann nur hinzufügen, dass wir authentisch, kommunikativ, verlässlich und ehrlich sein sollten. Das überzeugt junge Menschen. Und dass wir alle Interessierten in unsere offenen Piraten-Plattformen einführen. Dass wir noch mehr darauf hinweisen, was bei den Piraten alles möglich ist, noch geduldiger und intensiver mit jungen Menschen diskutieren. Ihre Standpunkte verstehen lernen, dann fühlen sie sich auch von uns verstanden.
Hast Du bereits Erfahrung in Brüssel/Straßburg sammeln können? Wenn ja, welche?
Interessante Frage für mich. Ich habe mich 2019 als Communication-Trainee bei Patrick Breyer beworben. Und er hat sich für mich entschieden, da er sowohl meinen CV als auch mein Kommunikations-Konzept überzeugend fand. Ich sollte nach dem Praktikum als Ortskraft, also im Bundestag, eingesetzt werden. Leider wurde ich kurz vor Beginn dieses Praktikums plötzlich so sehr krank, dass ich es nicht antreten konnte. Ich hätte mich auch später noch bewerben können, als Trainee, aber das konnte ich mir dann nicht mehr leisten. Es erfordert ggf. Rücklagen, um sich ein Praktikum in Brüssel mit einem doppelten Wohnsitz finanzieren zu können.
Ich entschuldige mich ein weiteres Mal bei Patrick für diesen plötzlichen Ausfall. Gewonnen hab ich allerdings dabei, dass ich mich schon mal intensiv mit den Strukturen des Europäischen Parlaments beschäftigen musste und geistig näher an Brüssel heran kam. Ich hatte, wie Anja, auch schon 2019 mit großer Bewunderung festgestellt, wie genial die Aufteilung der Ausschüsse in der Piratenfraktion geregelt war.
Wo würdest Du Deine Hauptaufgabe im Europaparlament sehen?
Wie schon oben beschrieben, sehe ich mich im EMPL-Committee, Employment and Social Affairs. Auch für die Ausschüsse “AFET, Foreign Affairs”, “REGI, Regional Development” und “INGE, Special Committee on Foreign Interference in all Democratic Processes in the European Union, including Disinformation” würde ich mich zur Verfügung stellen.
Welchen Listenplatz strebst Du an?
Ich strebe Listenplatz 1-3 an. Je nachdem, wie wichtig der Versammlung 1. Digital, 2. Sozial und 3. Klima ist. Oder ob die Person und nicht das Thema den Ausschlag gibt.
Das Interview wurde offline geführt. Vielen Dank für das Interview an Mia Utz.
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.