Hallo Sabin,
Du engagierst Dich seit Jahren in der Drogenpolitik, unter anderem als Themenbeauftragte für Drogen und Suchtpolitik in Baden-Württemberg.
Was könnte man in Europa diesbezüglich tun?
Die Niederlande und Portugal haben in Sachen Drogenpolitik deutlich mehr Erfolg als Deutschland. Durch mein Engagement für Menschenrechte bin ich erst zur Drogenpolitik gekommen. Denn das Ganze gehört in einen größeren Kontext. Die politischen Themen hängen alle miteinander zusammen. Deshalb engagiere ich mich an vielen Stellen. U.a. sitze ich im Lörracher Stadtrat und ich engagiere mich auch als drogenpolitische Themenbeauftragte. Die Drogenpolitik ist gesellschaftspolitisch das größte Feld, in dem Menschen konsequent ihr Recht auf freie Lebensgestaltung abgesprochen wird. Das geht bis hin zu Inhaftierungen. Dinge, die ganz klar gegen Artikel 2 im Grundgesetz verstoßen. Jahrzehnte wird schon über diese Ungerechtigkeiten geredet – nichts passiert.
Die Niederlande und Portugal haben in der Drogenpolitik deutlich mehr Erfolg, weil sie auf eine liberalere Drogenpolitik setzen. Aber das alles reicht noch nicht. Erstens muss es um alle Substanzen gehen und zweitens brauchen wir eine völlige Abkehr vom „Krieg gegen die Drogen“, der eigentlich ein Krieg gegen die Menschen ist. Persönlicher Drogengebrauch muss als strafbare Handlung komplett aus dem Strafrecht verschwinden. Es müssen für Erwachsene legale, profitfreie Möglichkeiten in Europa geschaffen werden, Substanzen zu erwerben. Nur so treten wir dem Schwarzmarkt wirksam entgegen und schaffen Verbraucher- und Jugendschutz.
Wäre es möglich, die erfolgreiche portugiesische Drogenpolitik in ganz
Europa zu etablieren?
Natürlich ist es möglich, wenn man nur will!! Schließlich fordern wir Piraten Dinge, für die sich Expert*innen seit langem schon einsetzen. Das erfordert jedoch viel kleinteilige Überzeugungsarbeit. Drogenpolitik scheint gerade bei vielen Konservativen einen ideologischen Stellenwert zu besitzen. Es geht nicht um Problemlösung, sondern um ihre ideologischen Ängste.
Als Streetworkerin hast Du wahrscheinlich viel menschliches Elend gesehen.
Wie kann Europa da helfen?
Europa könnte an ganz vielen Stellen helfen. Angefangen bei den massiv steigenden Mieten in allen Ländern. Über ein angemessenes Grundeinkommen: Europa gibt Milliarden für Unternehmenssubventionen aus, während durchschnittlich verdienende Menschen auf der Strecke bleiben. Und natürlich werden die Menschen durch die herrschende Drogenpolitik ins Elend gedrängt. Gleichzeitig verursachen wir durch unsere Exportpolitik Not und Elend in Afrika und lassen die Flüchtlinge in überfüllten Booten sterben. Und wir finanzieren mit Milliarden diverse Diktaturen, die uns die Flüchtlinge vom Hals halten sollen. Die europäische Politik arbeitet an so vielen Stellen konträr gegen die Menschenrechte. Ich jedoch sehe Europas Hauptaufgabe in der Wahrung von Menschen- und Bürgerrechten.
Für diese Europawahl wurde das Wahlalter auf 16 gesetzt.
Können die jungen Wähler bei dieser Wahl für eine Überraschung sorgen?
Ich persönlich wünsche mir sehr, dass die jüngeren Wähler progressiver wählen.
Was verbindet Dich mit “Europa”?
Ich bin ein großer Fan der europäischen Idee. Weil ich überzeugt bin, dass Nationalstaaten Konstrukte mit völlig willkürlichen Grenzen sind. Aber wir brauchen ein Europa der menschlichen Werte – nicht des größtmöglichen Profits. Zusammen ist Mensch stärker: Wir brauchen ein Europa der Solidarität statt des Lobbyismus. Eigentlich hat Europa einen Neustart verdient. Denn viele Handlungen der EU-Kommission sind einfach gegen die Bürgerrechte und stärken Überwachung. Wir aber brauchen eine EU, die unsere Bürgerrechte schützt und die Menschenrechte achtet.
Hast Du einen besonderen Bezug zum Europaparlament?
Wir PIRATEN sind nicht an Macht interessiert, sondern an der Ermächtigung der Menschen. Insofern beeindruckt mich Patrick Breyer mit seiner politischen Arbeit für unsere Bürgerrechte im Europaparlament sehr.
Wo würdest Du Deine Hauptaufgabe im Europaparlament sehen?
Eine wichtige Aufgabe ist, die Bürger:innen vor Überwachungsbegierden der Politik zu schützen. Digitalisierung im Kontext mit Menschenrechten ist ein sehr wichtiges Thema. Auch K.I. muss dringend geregelt werden: z.B. warum profitieren nur Unternehmen von selbstlernenden Programmen (KI-Apps), die wir alle trainieren? Menschenrechte und Antidiskriminierung sind für mich auch ein wichtiges Thema. In diesem Kontext steht für mich auch eine Änderung der Drogenpolitik.
Welche Rolle spielt Europa für Deutschland nach Deiner Ansicht?
Europa ist für Deutschland wichtiger, als die meisten denken. Denn das Konstrukt EU gibt den Mitgliedsländern auch Schutz und Sicherheit. Allerdings gibt es auch hier viele wichtige Themen, die angegangen werden müssen: die Rechtsradikalisierung vieler Mitgliedsländer der EU und wie dagegen vorgehen?
Mit welchen Themen müssen wir unbedingt Wahlkampf machen?
Menschen-/Bürgerrechte, Digitalisierung/K.I., Klimawandel
Welchen Listenplatz strebst Du an?
Grundsätzlich geht es mir darum, mit meiner Kandidatur die Piraten zu unterstützen, denn es liegt mir viel daran, dass wir mit unseren politischen Zielen und Positionen weiterhin im Europaparlament vertreten sind. Ich plane nicht für Listenplatz 1 zu kandidieren, stelle mich aber ab Listenplatz 2 zur Wahl.
Das Interview wurde offline geführt. Vielen Dank für das Interview an Sabin Schumacher.
Ullrich Slusarczyk
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.