Eine Kolumne von Ullrich Slusarczyk
Seit dem 01.07.2023 ist, wenn man so will, Stufe 2 des Bürgergeldes in Kraft. Zeit, mal genauer nachzusehen, ob das Bürgergeld wirklich besser ist, als das so viel gescholtene Hartz 4, oder ob es sich um eine Mogelpackung handelt.
Pro
Ein Schonvermögen in Höhe von 40.000 € im ersten Jahr.
Eindeutig ein Pro und lange überfällig, auch wenn die ursprünglich geplanten Beträge deutlich gekürzt wurden.
Für den eigentlichen Leistungsbeziehenden statt 60.000 € nur 40.000 €.
Für jedes weitere Haushaltsmitglied statt 30.000 € nur 15.000 €;
Genauere Informationen hier: https://www.hartziv.org/schonvermoegen/
Berufliche Qualifikation statt Aushilfsjobs.
Ebenfalls sehr sinnvoll und lange überfällig. Allerdings kenne ich viele Qualifikationsangebote vom Jobcenter. Hier ist eine regelrechte Industrie entstanden. Und die Wahrheit ist, die meisten Qualifizierungsangebote sind das Papier nicht Wert, auf dem die Abschlüsse gedruckt werden. Und die einzige echte Ausbildung, die ich sofort und sehr gerne gemacht hätte, wurde abgelehnt, da es sich dabei um eine Stufenausbildung handelt, und man die zweite Stufe nicht bezahlt hätte. Da aber die erste Stufe praktisch nichts wert ist, kam das nicht infrage.
Genannt wird das Ganze übrigens: Abschaffung des Vermittlungsvorrangs.
Verbesserte Zuverdienstmöglichkeiten.
Das ist vor allem für Schüler und Auszubildende wichtig. Eine der wichtigsten Änderungen, wie ich finde. Auch alle anderen sind davon betroffen. So werden die Freibeträge von 20 % auf 30 % angehoben.
Das größte Pro aber war die Anhebung der verschiedenen Regelsätze für praktisch alle Gruppen. So ist der Regelsatz für alleinstehende Erwachsene um 53 € auf insgesamt 502 € angehoben.
- Alleinstehende, Alleinerziehende 502 Euro
- Volljährige Partner 451 Euro
- Volljährige (18-24 Jahre) im Haushalt der Eltern 402 Euro
- Volljährige (18-24 Jahre) in Einrichtungen (nach SGB 12) 402 Euro
- Jugendliche (14-17 Jahre) 420 Euro
- Kinder (6-13 Jahre) 348 Euro
- Kinder (0-5 Jahre) 318 Euro
Die gestiegenen Regelsätze sollten eine Anpassung an die Inflation darstellen. Gleichzeitig sollten die Sätze zukünftig flexibler und angemessen steigen.
Und damit sind wir dann auch schon bei den Contras.
Contra
Die gestiegenen Regelsätze sind nicht nur Pro, sondern auch Contra. Der Grund ist einfach. Die Erhöhung sollte die Inflation berücksichtigen, hat dies aber nur zu einem sehr kleinen Teil getan. Und seitdem ist die Inflation weiter fortgeschritten. Lebensmittelpreise haben sich teilweise mehr als verdoppelt. Die Energiepreise haben sich mehr als verdoppelt und die Strompreisbremse fängt diesen Anstieg nicht vollständig ab, sodass real immer noch eine Preissteigerung von 20 bis 30 % bestehen bleibt. So wurde die Erhöhung vollständig von der Inflation aufgefressen und unter dem Strich ist sogar weniger Geld als vorher da. Und 6 Monate später, bei weiter steigenden Preisen, ist keine Anpassung in Sicht. Keine Spur von flexibel und angemessen.
Schon deutlich vor dem Start des Bürgergeldes, als auch die Folgen der jetzigen Inflation überhaupt noch nicht ersichtlich waren, hat der Paritätische Wohlfahrtsverband einen Regelsatz von 678 € gefordert. Rechnet man die Folgen der Inflation auf diesen Betrag darauf, so könnten da vielleicht schon 700 € stehen.
Ein weiteres Contra sind die noch immer vorhandenen Sanktionen. Was mich am meisten an den Sanktionen stört, ist sind völlig willkürliche Verhängungen, die auf einzelne „Kundenberater“ zurückgehen.
Ein weiteres Contra ist, dass weiter nicht in die Rentenkasse eingezahlt wird. Das hat massive Folgen. Folgen, die viele so nicht abschätzen können. Wer z.B. krank wird und durch die Krankheit arbeitsunfähig, kann in Probleme geraten. Je nachdem, wie lange man das Bürgergeld schon bezieht, hat man eben keine Beiträge in die Rentenversicherung getätigt. Und das kann dazu führen, dass man die Pflichtbeiträge, die es braucht für eine Frührente/Erwerbsminderungsrente, nicht erreicht, beziehungsweise nicht eingezahlt hat.
„Sie müssen grundsätzlich in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens drei Jahre Pflichtbeiträge an die Rentenversicherung gezahlt haben, zum Beispiel während einer versicherten Beschäftigung.“
Nachzulesen hier: https://www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Rente/Allgemeine-Informationen/Rentenarten-und-Leistungen/Erwerbsminderungsrente/erwerbsminderungsrente_node.html
Seit 2011 wird die Rentenversicherung nicht mehr eingezahlt bei Hartz 4. Und das Bürgergeld macht da nahtlos weiter. Für all die Langzeitarbeitslosen oder Arbeitsunfähige wie mich bedeutet das, ich bekomme keine Erwerbsminderungsrente. Stattdessen werde ich bis zur Regelrente weiter Bürgergeld beziehen. Und wenn ich dann endlich Rente beziehe, wird das so wenig sein, dass ich aufstocken muss.
Und dann gibt es da noch ein Contra. Eines, das von vielen Politikern, Arbeitgeberverbänden und Lobbyverbänden genutzt wird. Nämlich das sich durch das Bürgergeld Arbeiten nicht mehr lohnt. Nun ist diese Aussage selbst für Schulkinder nachvollziehbar Blödsinn, aber sie wird gerne und viel genutzt. Viele haben das gründlich nachgerechnet und festgestellt, Arbeiten lohnt sich in der Regel immer.
Mit einer Ausnahme: Eine Familie mit 4 Kindern, die vom Mindestlohn leben muss.
Warum das so ist, sowie diverse Beispiele gibt es hier:
https://www.hna.de/leben/geld/buergergeld-arbeit-gehalt-lohn-geld-job-rente-hartziv-zr-92054984.html
Fazit
Es gab Detailverbesserungen. Nicht mehr. Die viel beschriebene flexible Anpassung an die Inflation, sie hat schlicht nicht stattgefunden. Es müsste eine unabhängige Kommission geben, die sich um die Lebenshaltungskosten kümmert und auf ihrer Grundlage alle 6 Monate das Bürgergeld anpasst. Leider sehe ich das nicht. Und dass das Bürgergeld noch in diesem Jahr wegen der Inflation, die 2022 6,9 % betrug und 2023 immer noch beachtliche 5,8 % beträgt, angepasst wird, glaubt selbst der größte Optimist nicht. Bleibt also festzustellen. Die gravierendste Änderung war immer noch die Namensänderung.
Ullrich Slusarczyk
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.