Der Artikel zeigt eine Möglichkeit auch für andere Städte und Kommunen auf. (Hinweis der Redaktion)
Ein Gastartikel von Jens Clausen (https://www.borderstep.de/team/dr-jens-clausen/)
Der Beginn
Im Januar 2019 fand in Hannover wie auch in vielen anderen Städten die erste Klimademo der FridaysForFuture statt. In rascher Folge danach gründeten sich weitere Gruppen der Klimabewegung: ScientistsForFuture, ParentsForFuture, StudentsForFuture, OmasForFuture, Extinction Rebellion und weitere.
Schon früh wurde dabei das Wärmethema von Jens Clausen als Mitglied der ScientistsFor Future ins Bewusstsein der Fridays-Bewegung gebracht. Mittel dazu waren „öffentliche Schulstunden“ sowie auf Einladung der ParentsForFuture ein Vortrag „Dänemark auf dem Weg zur klimaneutralen Wärmeversorgung“ in der Leibnizuniversität Hannover.
Seitens der ParentsForFuture wurde schon Ende 2019 angedacht, zur lokalen Umsetzung des Kohleausstiegs eine Kampagne zur baldigen Abschaltung des Kohlekraftwerks in Hannover Stöcken zu starten. Da dieses Kraftwerk in die Fernwärmeversorgung eingebunden ist und einen Großteil der Fernwärme aus Kohle in Kraft-Wärme-Kopplung gewinnt, war offensichtlich, dass eine solche Kampagne nur Erfolg haben könnte, wenn eine konstruktive Alternative vorgelegt werden würde.
Es stellte sich damit die Frage, in welche Richtung eine konsequente Wärmewende in Hannover steuern müsste?
Dabei waren zwei Versorgungssysteme zu unterscheiden:
- Das von der enercity AG, den Stadtwerken Hannover, betriebene Wärmenetz, in welchem Wärme aus dem Kohlekraftwerk Stöcken, dem Erdgaskraftwerk Hannover Linden sowie seit Anfang des Jahres 2020 Abwärme aus der Müllverbrennungsanlage in Hannover Lahe eingespeist wurde.
- Die Wärmeversorgung der nicht ans Wärmenetz angeschlossenen Gebäude, die zum überwiegenden Teil mit Erdgas und anteilig mit Heizöl erfolgt.
Auf Basis einer Analyse der Literatur und zahlreicher Gespräche mit lokalen Fachleuten der Gebäudeenergieversorgung wurde eine Potenzialstudie für die Versorgung von Hannover mit erneuerbarer Wärme erarbeitet und Ende April 2020 (also kurz nach Beginn des Corona-Lockdowns) sowohl als Papier (Clausen, 2020) wie auch in einem kurzen Youtube-Tutorial veröffentlicht: Wärmewende in Hannover: Wie geht denn das? (https://www.youtube.com/watch?v=djgs7nNQ_j0&t=32s).
Agenda-Setting für die Wärmewende ab April 2020
In der Veranstaltungsreihe „Klimatische“ von Ende 2019 bis Mai 2020 setzte die Leibniz Universität Hannover erste Akzente zur Diskussion und Strukturierung der Klima- und Energiewende in Hannover und vernetzte parallel dazu die Akteursgruppen der Fridays-Bewegung mit dem institutionalisierten Klimaschutz.
Einen konkret auf die Wärmewende bezogenen Schritt stellte die Potenzialstudie dar. Im Anschluss an die Vorstellung der Studie wurde diese in zahlreichen Gesprächen diskutiert und bewertet. Die Umsetzung einer Wärmewende in Richtung auf erneuerbare Wärme schien nur machbar, wenn verschiedene Gruppen in Hannover Klarheit über die machbaren und nicht-machbaren Lösungen für eine solche Wärmewende gewinnen und die nächsten wirksamen Schritte in diese Richtung unterstützen würden. Zu diesen Gruppen zählen:
- Die Aktiven in der Klimaschutzbewegung, in der teilweise richtige, teilweise falsche und teilweise gar keine Vorstellungen von Perspektiven erneuerbarer Wärmeversorgung zu herrschen schienen.
- Die enercity AG, die zentraler Akteur der Umstellung des Wärmenetzes auf erneuerbare Wärme sein musste und die seit Jahren an Konzepten für den Kohleausstieg arbeitete. Denn seit 2016 lag die Leitung der enercity AG in den Händen von Dr. Susanna Zapreva, die das Amt der Vorstandsvorsitzenden mit dem expliziten Auftrag übernommen hatte, enercity in Richtung auf zukunftsfähige und erneuerbare Energien hin zu entwickeln.
- Die kommunalpolitischen Akteure aller Parteien, die zum einen im Stadtrat das Handeln der Stadtverwaltung festlegen, die aber zum anderen im Aufsichtsrat der enercity AG über die städtische Beteiligung von 75,1 % der Anteile Einfluss auf die Strategie der Stadtwerke nehmen können.
Auf Basis dieser Überlegungen entwickelten sich folgende Elemente einer Transformationsstrategie:
- Führung eines fachlichen und wissenschaftsbasierten Diskurses zur Frage der zukünftigen Wärmeversorgung mit ForFuture-Bewegung, enercity AG und lokalen Parteien.
- Aufbau von Handlungsdruck durch das Vorantreiben eines Bürger*innenbegehrens „Hannover erneuerbar – Kohlekraftwerk Stöcken abschalten!“
- Aufbau aller Aktivitäten auf der Aufrechterhaltung des aus den Protesten der ForFuture-Bewegung folgenden Handlungsdrucks.
Der Diskurs um die Wärmewende
In verschiedenen Vorträgen, Gruppendiskussionen und Einzelgesprächen erfolgte ein Austausch zu den geeigneten Optionen der Wärmewende, der bis etwa Mai/Juni 2020 zu einem weitgehenden Konsens innerhalb der ForFuture-Gruppen führte.
Schon am 8. Mai 2020 kam es zu einem ersten Treffen mit Oberbürgermeister Belit Onay. In diesem Treffen wurde der OB gebeten, Einfluss auf die Stadtwerke in Richtung auf eine nachhaltige Wärmewende auszuüben.
Eine sehr zentrale Diskussionsveranstaltung fand am 27.5.2020 auf Zoom statt. Etwa 30 Aktive der ScientistsForFuture und verschiedener anderer ForFuture-Gruppen diskutierten mit Dr. Zapreva. Es gelang in dem Gespräch deutlich zu machen, dass zwei der von Zapreva vorgestellten Optionen zur Abschaltung des Kohlekraftwerks auf Kritik stoßen würden: die Erdgasoption, weil sie den Anforderungen des Klimaschutzes nicht genügt, und die 55%-Biomasse Option, weil es an der Biomasse mangelt. Weiter wurde erwähnt, dass enercity plant, die Erdgasversorgung ab 2030 auf sogenanntes „grünes Gas“ umzustellen.
Im Nachgang zu der Diskussion wurde deutlich, dass sowohl im Fall Wasserstoff wie auch im Fall Biomasse eine genauere und kritischere Klärung der Potenziale erforderlich sein würde.
Weiter wurde von verschiedenen Seiten angemerkt, dass sich die enercity AG als Stadtwerke zu 75,1% im Eigentum der Stadt befinden würden und es daher wichtig sei, Stadtrat und Parteien dazu zu bringen, eine richtungssichere Klima- und Energiepolitik der enercity AG zu unterstützen bzw. einzufordern.
Ein weiterer Fokus der Arbeit lag auf Politik und Parteiprogrammen. Es entstand zunächst ein Papier, welches die verfügbaren Wärmepotenziale, die politischen Instrumente und die Kernstrategien der Transformation im Detail beschreibt (Clausen & Fichter, 2020). Auch die Programme der Parteien auf Bundes- und Kommunalebene wurden aus der Perspektive einer richtungssicheren Klima- und Energiepolitik analysiert und kritisch bewertet. Auf dieser Basis wurde das Gespräch mit Parteivorständen und Fraktionen gesucht.
Exkurs: Eintreten gegen Fake-News
Richtigen Information über eine Problemlösung wie z.B. Wärmenetze oder Wärmepumpe stehen oft andere Informationen entgegen, die, ob falsch oder richtig, Entscheidungen verzögern oder verhindern können.
Dies gilt auch im Falle der Wärmeversorgung. Im Zuge der zahlreichen Gespräche und Veranstaltungen zeigte sich dieser Effekt besonders stark an drei Fragen:
- Warum ist es erforderlich, den hohen Aufwand für die energetische Sanierung von Gebäuden zu treiben, wenn doch in wenigen Jahren problemlos eine Versorgung statt mit klimaschädlichem Erdgas mit klimaneutralem grünem Gas aus grünem Strom erfolgen kann?
- Warum sollen zur Substitution eines Kohlekraftwerks mühevoll exotische Wärmequellen wie Umweltwärme über Wärmepumpe, Geothermie oder Solarthermie erschlossen werden, wenn doch stattdessen einfach preiswerte Biomasse in großen Mengen in einer KWK-Anlage verbrannt werden kann.
Es war insoweit erforderlich, sich nicht nur mit den Technologien zu beschäftigen, die zur Lösung der Problematik des Ausstiegs aus Kohle-, Heizöl- und Erdgasnutzung in der Wärmeversorgung beitragen können, sondern genauso intensiv die Technologien zu studieren, die nur scheinbar einen Lösungseitrag leisten konnten.
Problemfeld grüner Wasserstoff: Schon in der grundlegenden Analyse regenerativer Wärmequellen zur Wärmeversorgung der Landeshauptstadt Hannover war auf die begrenzten Potenziale und die zu späte Verfügbarkeit von Wasserstoff eingegangen worden (Clausen, 2022). Da aber in der weiteren Diskussion noch mehrmals das Argument auftauchte, das Heizen mit Wasserstoff ermögliche den Weiterbetrieb des Erdgas-Verteilnetzes und der Gasheizthermen in den Wohnungen, wurde das Thema Wasserstoff zum Heizen immer wieder wichtig und verfolgt uns auch in der Heizungshammer-Kampagne im Sommer 2023 als Forderung von FDP und Erdgaslobby (Scientists for Future, 2022a)
Problemfeld Biomasse: Ebenfalls in der grundlegenden Analyse regenerativer Wärmequellen zur Wärmeversorgung der Landeshauptstadt Hannover war die Begrenztheit der noch zusätzlich nutzbaren Biomasse für Heizzwecke problematisiert worden, die auch vom Umweltbundesamt hervorgehoben wird (Umweltbundesamt, 2019). Diese Begrenztheit schließt sowohl den Umbau eines Kohlekraftwerks der Fernwärmeversorgung zum Biomasseheizwerk (mit oder ohne KWK) aus und setzt auch der zusätzlichen Verwendung von Biomasse als Brennstoff in Einfamilienhäusern Grenzen.
Alle Fragen um Perspektiven, Lösungen und Scheinlösungen wurden in 2020 und 2021 in über 100 Gesprächen, Vorträgen, Diskussionen im öffentlichen wie auch im nichtöffentlichen Raum immer wieder erklärt, besprochen und diskutiert.
Parallel zur Phase der Vorträge, Gespräche und Diskussionen hatten die ParentsForFuture Hannover mit Unterstützung von BürgerBegehrenKlimaschutz in Berlin und dem Verein „Mehr Demokratie“ Text und Planung des Bürgerbegehrens „Keine Kohle, Kein Erdgas in unseren Kraftwerken!“ weiterentwickelt.
Das Bürger*innenbegehren von hannover_erneuerbar
Im Januar 2021 wurde die Durchführung des Bürger*innenbegehrens von hannover_erneuerbar durch die Stadt genehmigt. Damit konnte die Unterschriftensammlung beginnen. Der Text des Begehrens lautete wie folgt:
Bürger*innen-Begehren Keine Kohle, kein Erdgas in unseren Kraftwerken!
Mit meiner Unterschrift unter dieses Bürgerbegehren gemäß §32 NKomVG beantrage ich die Durchführung eines Bürgerentscheids gemäß § 33 NKomVG zu folgender Frage:
FRAGE: Sind Sie dafür, dass die Stadt Hannover ihre Vertreter*innen in der Hauptversammlung der enercity AG anweist, im vorgesehenen Verfahren folgende Satzungsänderung zu beantragen und für diese zu stimmen?
Der Satzung der enercity AG wird in § 2 („Gegenstand des Unternehmens“) folgender Absatz hinzugefügt: Ab dem Jahr 2026 setzt die Gesellschaft in keiner Form mehr Kohle und schnellstmöglich danach gar keine fossilen Brennstoffe mehr zur Erzeugung von Strom und Wärme ein. Die Veräußerung oder Verpachtung der für die Nutzung fossiler Brennstoffe ausgelegten und verwendeten Kraftwerke ist ausgeschlossen, ebenso die Errichtung von neuen Kraftwerken, die für die Nutzung fossiler Brennstoffe vorgesehen sind.
Am 29.1.2021 startete das Bürger*innen-Begehren mit einem erfolgreichen Auftakt vor dem neuen Rathaus bei Eis und Schnee. Da der Start der Unterschriftensammlung mit dem Beginn der ersten Corona-Impfkampagne zusammenfiel war es schwer, Menschen auf der Straße anzusprechen. Der Website www.hannover-erneuerbar.de kam daher eine erhebliche Bedeutung zu, die Inhalte des Bürgerbegehrens bekannt zu machen, aber auch Unterschriftenlisten zum Selbstausdrucken zu verteilen.
Durch das Bürger*innenbegehren kam das Thema Zukunft der Wärmeversorgung mehrfach in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) zur Sprache. Die HAZ lud dann für den 11.Februar 2021 zum „HAZ-Forum Kraftwerk“ ein, um die Debatte um einen früheren Kohleausstieg öffentlich zu machen. Auf dem Forum sprachen Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay, die enercity Vorstandsvorsitzende Dr. Susanna Zapreva, Volker Müller von den Unternehmerverbänden Niedersachsen, Stephan Barlag von hannover_erneuerbar und Dr. Jens Clausen vom Borderstep Institut. Die Diskussion ist auf Youtube dokumentiert (Hannoversche Allgemeine Zeitung, 2021).
Die nächste Entwicklung begann mit einem Anruf von Dr. Susanna Zapreva bei Dr. Jens Clausen am 25.2.2021 und hatte den Vorschlag von Verhandlungen zwischen enercity, der Landeshauptstadt Hannover und hannover_erneuerbar zum Gegenstand. Die Verhandlungen begannen am 26.3. in Form einer Videokonferenz und das Ergebnis der sechs Verhandlungstermine wurde am 20.5.2021 vorgestellt.
Die Vereinbarung sieht vor, dass der Ausstieg aus der Kohleverbrennung im ersten Kraftwerksblock bereits im Jahr 2024 erfolgen soll. Weiter verpflichtet sich die enercity AG, nachprüfbar so schnell es geht, auch im zweiten Block keine Kohle mehr zu verbrennen. Hierbei wird das Jahr 2026 als gemeinsames Zeitziel angestrebt.
Um die von hannover erneuerbar geforderten CO2-Reduktionsziele auch dann verbindlich zu erreichen, wenn der Ausstieg nicht bis 2026 vollumfänglich realisiert werden kann, und zugleich den für die Klimaneutralitätsziele der Landeshauptstadt notwendigen Reduktionspfad einzuschlagen, sollen weitere den Kohleausstieg flankierende Maßnahmen im Wärmebereich umgesetzt werden, die ebenfalls den Ausstoß von CO2 senken und zugleich einen breit angelegten Einstieg in die Wärmewende als kombinierter Kohle-, Heizöl und Erdgasausstieg bedeuten.
Die Maßnahmen umfassen:
• Eine Ölheizungsoffensive: enercity startet eine Initiative zum Ölheizungstausch in Hannover, sodass möglichst bald keine Ölheizungen mehr in Betrieb sind. Dies muss durch eine Fördermaßnahme begleitet werden. In Hannover gibt es ca. 5.000 Ölheizungen. Im Rahmen eines Umbauprogramms können diese auf Fernwärme oder auf Wärmepumpen umgerüstet werden.
• Eine Anschlusspflicht für Fernwärme: Der Rat der LHH beschließt nach dem Gebäudeenergiegesetz (GEG) eine Anschluss- und Benutzungspflicht für Fernwärme in ausgewählten Verdichtungsgebieten bei Neu- oder Umbauten ab 2022. In diesen Gebieten ist der Einbau neuer Öl- und Gasheizungen dann nicht mehr möglich.
• Eine Heizungseffizienzoffensive mit CO2-Einsparungen durch Optimierungen im Bestand – zumeist digital unterstützt.
Beschlüsse des Rats der Landeshauptstadt Hannover
Am 15.7.21 wurden die vereinbarten Aktivitäten durch den Rat der Landeshauptstadt Hannover beschlossen. Dem Beschluss stimmte eine breite Mehrheit im Rat zu. Neben der Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP wurde dem Antrag durch die CDU, Die Linke, Die Partei und die Piraten zugestimmt. Das könnte ein Hinweis sein, dass durch das aufgrund des Bürger*innenbegehrens hohe öffentliche Interesse und aufgrund der wissenschaftlichen Unterstützung des Prozesses durch die Scientists for Future ein ungewöhnlich hohes Maß von Konsensfähigkeit erzielt werden konnte.
Die Unterschriftensammlung durch hannover_erneuerbar wurde mit dem Ratsbeschluss eingestellt.
Am 9.9.2021 wurden der schnelle Kohleausstieg und die flankierenden Maßnahmen vertraglich zwischen der Landeshauptstadt Hannover und der enercity AG durch Oberbürgermeister Belit Onay und der Vorstandsvorsitzenden Dr. Susanna Zapreva fest vereinbart, am 25.10. gaben sie den Beginn der Umsetzung der Maßnahmen bekannt.
Anfang Januar legte die Landeshauptstadt Hannover (2022a) den ersten Entwurf der Fernwärmesatzung vor, die nach umfangreichen Beratungen in Ausschüssen und Bezirksräten vom Rat der Landeshauptstadt Hannover am 29.09.2022 beschlossen wurde (Landeshauptstadt Hannover, 2022b) und am 1.1.2023 in Kraft trat wird.
In der Zwischenzeit trat im Frühjahr 2022 durch Russlands Krieg gegen die Ukraine neben der Klimaschädlichkeit eine weitere Schwäche des fossilen Energiesystems zu Tage: die aus der Importabhängigkeit erwachsende Versorgungsunsicherheit (Clausen et al., 2022). Die sich entwickelnde Energiekrise führt zu hoher Akzeptanz der Fernwärmesatzung.
Parallel kündigte die Bundesregierung im Sommer 2022 Pläne an, dass jede neu eingebaute Heizung ab 1. Januar 2024 mit mindestens 65 Prozent erneuerbarer Energien betrieben werden soll (BMWK & BMWSB, 2022). Beim Neubau von Gebäuden genauso wie beim Ausfall einer alten Heizungsanlage und dem notwendigen Ersatz sind nun Anlagen gefordert, die mindestens 65 % erneuerbare Wärme nutzen, z.B. ein Anschluss an ein in absehbarer Zeit regenerativ gespeistes Wärmenetz. In Folge all dieser Entwicklungen verlor zum einen die Anschluss- und Benutzungspflicht an die Fernwärme noch bevor sie endgültig beschlossen war ihre Bedrohlichkeit, denn bundesweit würde ja ab Anfang 2024 eine ähnliche Vorschrift ohnehin für alle Heizungen gelten. Die Möglichkeit des Anschlusses an die Fernwärme war auf einmal keine lästige Pflicht mehr, sondern eine attraktive Möglichkeit den teuren fossilen Energien ohne viel Aufwand zu entkommen.
In 2022 begann dann auch die Umsetzung der am 9.9.2021 unterzeichneten Vereinbarung. Auf der zweiten Sitzung des zur Begleitung der Maßnahmen eingerichteten Beirats im November 2022 berichtete enercity (2022) von einer weiteren Initiative:
„Durch intelligentes Heizen können Verbraucherinnen und Verbraucher bis zu 20 Prozent ihres jeweiligen Energiebedarfs einsparen und zugleich CO2-Emissionen reduzieren. Im Rahmen der Offensive zur Heizungseffizienz unterstützt enercity mit einem hydraulischen Abgleich des Heizungssystems und sensorbasierter Einzelraumsteuerung. Der Wohnungswirtschaft hilft das Unternehmen mittels intelligent geregelter Gebäudesteuerung. Seit Aktionsstart hat enercity Kundinnen und Kunden beispielsweise mit rund 1.500 smarten Heizungsthermostaten versorgt – dank Rabattierung für 99 statt für 309 Euro pro Starterset. Die Nachfrage ist hoch.“
Die Fernwärmesatzung bestimmt ein Fernwärme-Versorgungsgebiet, welches sich über zahlreiche Stadtteile von Hannover erstreckt.
Abbildung 1: Fernwärme-Versorgungsgebiet in Hannover
Quelle: Landeshauptstadt Hannover (2022b)
Innerhalb des Versorgungsgebietes hat der Anschluss zusätzlicher Gebäude bereits begonnen. Die Kapazitäten zum Ausbau des Netzes werden in den nächsten Jahren deutlich hochgefahren und im Lauf der nächsten 20 Jahre werden alle Stadtteile nacheinander mit Wärmeleitungen versehen. Dafür, sowie für den Ausbau der Erzeugungsanlagen, sind etwa eine Milliarde Euro an Investitionsmitteln vorgesehen (Ruhrmann, Weitekamp & Kirchberg, 2022).
Neben dem Ausbau des Netzes wird die Erschließung von Wärmequellen vorangetrieben. Im Fall der Landeshauptstadt Hannover dominiert die Verbrennung von Restmüll, Klärschlamm und Altholz mit ca. 40 % der benötigten Wärmemenge noch die Planung der zukünftigen Wärmequellen, die aber darüber hinaus ebenfalls einen breiten Mix an regenerativen Wärmequellen einschließt.
Abbildung 2: Geplanter Wärmemix der Fernwärme in Hannover ab 2026
Quelle: Scientists for Future (2022b)
Aber auch der Abschied vom Erdgas steht bei enercity schon auf der Agenda. „Doppelte Infrastruktur verursacht doppelte Kosten. Je weniger Gas- und Fernwärmenetze wir parallel betreiben, desto besser für Hannover“ lässt sich Susanna Zapreva in ihrer Kundenzeitschrift zitieren (Ruhrmann et al., 2022). Und das Erdgaskraftwerk, das gegenwärtig Spitzenlast für das Fernwärmenetz liefert, soll ab 2035 auf Wasserstoff umgestellt werden.
Hannover und der Heizungshammer
Das durch die Uneinigkeit der Ampel auf Bundesebene angerichtete Chaos rund um das Heizungsgesetz hat sich in Hannover möglicherweise weniger ausgewirkt als anderswo. Durch das bereits festgelegte Fernwärmevorranggebiet konnten viele Hausbesitzende und auch große Teile der Wohnungswirtschaft die Debatte ruhig an sich vorbeiziehen lassen. Ihre Gas- oder Ölheizung würde ja ohnehin früher oder später durch einen Anschluss an das Fernwärmenetz ersetzt werden. Die gebäudeindividuelle Suche nach eine Lösung mit 65 % regenerativer Energie war so für viele gar nicht nötig. Und durch die umfangreichen Vorarbeiten kann die grün-rote Ratsmehrheit in Hannover wohl auch die kommunale Wärmeplanung im Entwurf schon 2023 vorlegen und 2024 beschließen. Die Oppositionspartei CDU kritisiert dies, denn das geplante Gasheizungsverbot würde in Hannover dann früher wirksam und Habecks Heizungshammer träfe die Stadt mit voller Wucht. Aber vielmehr scheint es doch so zu sein, dass 22 Jahre vor der (von der CDU beschlossenen) Klimaneutralität des Landes es dringend an der Zeit ist, sich von allen Formen der Verbrennung fossiler Energien zu trennen. Und jeder, der noch heute eine Gasheizung einbaut, wird in wenigen Jahren unter der Last der CO2-Abgabe stöhnen und möglicherweise schon in einigen Jahren die Entscheidung für die Gasheizung bereuen. Eine frühe Wärmeplanung wird damit die Bürgerinnen und Bürgern nicht zusätzlich belasten, sondern eher vor Fehlinvestitionen schützen.
Quellen
BMWK & BMWSB. (2022). 65 Prozent erneuerbare Energien beim Einbau von neuen Heizungen ab 2024 Konzeption zur Umsetzung. Berlin. Zugriff am 23.7.2022. Verfügbar unter:
Clausen, J. (2020). Regenerative Wärmequellen. Wärmepotentiale zur Versorgung der Landeshauptstadt Hannover. Berlin: Borderstep Institut.
Clausen, J. (2022). Das Wasserstoffdilemma: Verfügbarkeit, Bedarfe und Mythen. Berlin: Borderstep Institut. Zugriff am 27.6.2022.
Verfügbar unter: https://www.borderstep.de/wp-content/uploads/2022/06/AP2-Wasserstoff-Potenziale-Bedarfe_27-6-2022.pdf
Clausen, J., Brendel, H., Breyer, C., Ehmler. Hartmut, Gerhards, Christoph, Golla, Stefan et al. (2022). Wärmewende beschleunigen, Gasverbrauch reduzieren. Ein Kurzimpuls. Zenodo. https://doi.org/10.5281/ZENODO.6363715
Clausen, J. & Fichter, K. (2020). Transformation der Wärmeversorgung. Politisches Instrumentarium und Wachstumspotenziale. Berlin, Hannover: Borderstep Institut.
Enercity. (2022, November 29). Beirat Wärmewende zu Fortschritten unterrichtet. Zugriff am 21.12.2022. Verfügbar unter: https://www.enercity.de/presse/pressemitteilungen/2022/beirat-waermewende-zu-fortschritten-unterrichtet
Hannoversche Allgemeine Zeitung. (2021, Februar 11). HAZ-Forum: „Früher abschalten oder nicht? Wie geht es mit dem Kraftwerk in Stöcken Weiter?“ Zugriff am 16.2.2022. Verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=mq2EHN3fJKk
Landeshauptstadt Hannover. (2022a). Stadt stellt geplante Fernwärmesatzung vor. Zugriff am 9.7.2022. Verfügbar unter: https://www.hannover.de/Service/Presse-Medien/Landeshauptstadt-Hannover/Aktuelle-Meldungen-und-Veranstaltungen/Stadt-stellt-geplante-Fernw%C3%A4rmesatzung-vor
Landeshauptstadt Hannover. (2022b). Drucksache Nr. 0081/2022 N1: Fernwärmesatzung Hannover. Hannover. Zugriff am 28.7.2022. Verfügbar unter: https://e-government.hannover-stadt.de/lhhsimwebre.nsf/DS/0081-2022N1
Ruhrmann, A., Weitekamp, L. & Kirchberg, D. (2022, Dezember). Vernetzte Wärme, die das Klima schützt. Positive Energie.
Scientists for Future. (2022a). Wasserstoff in der Energiewende: unverzichtbar, aber keine Universallösung. Berlin. Zugriff am 9.12.2022. Verfügbar unter: https://de.scientists4future.org/keypoints-kommunale-waermewende/
Scientists for Future. (2022b). Wärmenetze. Die klimaneutrale Wärmeversorgung für verdichtete Stadtgebiete. Berlin. Zugriff am 4.1.2023. Verfügbar unter: https://de.scientists4future.org/keypoints-kommunale-waermewende/
Umweltbundesamt. (2019). Wege in eine ressourcenschonende Treibhausgasneutralität. RESCUE – Studie. Dessau-Roßlau. Zugriff am 30.12.2019. Verfügbar unter: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/376/publikationen/rescue_studie_cc_36-2019_wege_in_eine_ressourcenschonende_treibhausgasneutralitaet.pdf