Eine Kolumne von Ullrich Slusarczyk
Anfang 2022 habe ich die Kolumne mit dem bezeichnenden Namen „Dichter und Denker“ geschrieben.
Jetzt, knapp 2 Jahre später habe ich so meine Zweifel, ob wir wirklich Denker sind. Dichter ganz sicher, aber Denker?
Noch liegt Deutschland auf Platz 2 in der Statistik bei den Patentanmeldungen weltweit. Aber dieser Platz ist in Gefahr, da die Anmeldungen in Deutschland sinken.
https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/patente-anmeldungen-deutschland-europa-100.html
Im Bericht des ZDF werden bereits einige Gründe genannt. Ich allerdings könnte mir noch einen Weiteren vorstellen. Nämlich die Politik. Bei fast allen Entscheidungen aus der Politik ist Technik- und Wissenschaftsferne Standard.
Wir sind die viertgrößte Wirtschaftsmacht in der Welt. Aber in Sachen Digitalisierung haben uns Dritte-Welt-Länder abgehängt. Ein Beispiel dafür sind die Verwaltungen in Deutschland.
So muss ich für meinen Schwerbehindertenausweis ein Passfoto von mir auf ein Formular kleben und per Post an das Landesamt schicken. Da wird es dann auf einen Scanner gelegt und eingescannt. Denn der Ausweis ist eine Plastikkarte. Das Zusenden eines Fotos per Email wurde abgelehnt.
In meinem Bürgeramt dagegen steht ein Automat. Kostet 3 €, dauert keine 30 Sekunden und das Bild für den Personalausweis oder auch Pass war fertig. Genial.
Und das nur ein kleines Beispiel am Rande.
Forschen in Deutschland
Eine gute Freundin von mir ist Biologin. Doktorin. Und sie arbeitet als klinischer Monitor. https://de.wikipedia.org/wiki/Klinischer_Monitor
Das tut sie nicht etwa, weil ihr das gefällt, sondern weil sie nicht forschen kann. Denn die Bezahlung in der Forschung ist katastrophal schlecht, meist zeitlich beschränkt (2 – 3 Jahre in der Regel), und praktisch nie am Heimatort. Aber alle 2 – 3 Jahre umziehen, ist nicht gerade, was man sich wünscht. Das hat gar nichts mit Work-Life-Balance zu tun, sondern einfach nur mit dem Wunsch, ein einigermaßen geregeltes Leben zu führen.
Forschen, das ist in Deutschland eine prekäre (unsicher, wirtschaftlich und finanziell) Angelegenheit.
Und als wäre das noch nicht genug, gibt es da ja noch die Politiker. Die stellen alles infrage bzw. in Abrede, was Wissenschaftler sagen. Und plötzlich sind Holzpelletheizungen voll gut, ökologisch, ja geradezu eine Wonne für die Umwelt – und die Nachbarn.
Es gab mal eine Werbung:
Dann klappt das auch mit dem Nachbarn.
Viele Holzöfen qualmen und stinken. Das ist nichts Neues. Das wissen wir schon, seit wir unser erstes Lagerfeuer hatten und danach alle Klamotten nach Rauch gestunken haben. Wer also ganz sicher Zoff mit dem Nachbarn haben will, schafft sich eine solche Heizung an. Für die Gesundheit sind sie übrigens auch alles andere als gut.
https://www.umweltbundesamt.de/themen/luft/emissionen-von-luftschadstoffen/quellen-der-luftschadstoffe/holzheizungen-schlecht-fuer-gesundheit-klima
Wenn Forscher in Deutschland, zugegebenermaßen aber nicht nur in Deutschland, der Politik mit Fakten kommen, dann sind fast alle Politiker plötzlich auch Wissenschaftler und wissen es besser.
So ist der Umgang der Politik mit Wissenschaftlern in Deutschland unterirdisch schlecht. Dass es überhaupt noch Wissenschaftler und Forscher gibt, die mit der Politik reden, erstaunt mich schon.
Aber wir sind ja noch nicht fertig mit den Beispielen.
Transrapid
Das war ein Prestigeprojekt nach dem Motto, höher, schneller, weiter. Der Transrapid brach Geschwindigkeitsrekorde. Nachdem das Projekt in Deutschland quasi gescheitert war, wurde ein Teilstück nach China/Shanghai verkauft. Dort stellte der Transrapid mit 501 Kilometern pro Stunde einen Rekord auf.
Wer mehr über den Transrapid wissen will, findet hier reichlich Informationen:
https://magnetbahn.org/
Wenn der Transrapid aber so toll ist, warum haben wir ihn dann in Deutschland nicht?
Ein Grund, und wohl auch der wichtigste, ist die Politik. https://www.sueddeutsche.de/muenchen/sinnloses-prestigeobjekt-gruene-wollen-transrapid-verhindern-1.740157
https://www.nd-aktuell.de/artikel/654301.gruene-transrapid-schnell-beerdigen.html
Das ist insofern witzig, als heute völlig klar ist, der Transrapid ist wesentlich besser als der ICE. Er kann ihn zwar nicht überall ersetzen, aber auf vielen Strecken schon. Und die Vorteile, außer dem Geschwindigkeitsvorteil, sind wirklich beachtlich.
https://magnetbahn.org/vorteile/
In der Zwischenzeit hat China ein eigenes Projekt auf die Beine gestellt. Reisen mit 620 km/h sollen damit möglich sein.
https://www.hna.de/leben/auto/konkurrenz-china-magnetschwebebahn-maglev-zug-600-kmh-flugzeug-zr-90574863.html
Bestimmt werden wir, wenn er fertig ist, den Maglev für Deutschland kaufen.
Pipeline vom Bodensee nach Bayern
Nein, kein Gas oder Öl soll durch die Pipeline fließen, sondern Wasser. Trinkwasser. Kosten für das Projekt, geschätzte 3,4 Milliarden.
https://www.allgaeuer-zeitung.de/allgaeu/diskussion-um-rieseige-wasserleitung-zapft-bayern-den-bodensee-an_arid-623759
Es soll den Wassermangel, der Deutschlands größtem Flächenland droht, beheben.
Das ist so lächerlich, dass es fast schon wieder witzig ist. Wir entnehmen Unmengen an Wasser dem Boden. Geben dem Boden aber nichts zurück. Und solange wir das nicht tun, wird sich das Problem, egal was wir tun, verschärfen. Um das zu erkennen, muss ich weder Wissenschaftler noch Forscher sein. Zwar sinkt die Wasserentnahme seit Jahren, aber dafür haben wir Flüsse begradigt, Moore trockengelegt, Auen beseitigt und ganze Landstriche zubetoniert. Und so kann auch immer weniger Wasser überhaupt in den Boden eindringen. Wenn dann noch Wälder entfernt werden oder gar sterben, verschwindet eine weitere Möglichkeit, Wasser in den Boden zu bekommen.
https://wald.lauftext.de/partner-und-gegner/okologie/waldboden-ist-ein-riesiger-wasserspeicher.html
Deswegen hat die Regierung auch eine nationale Wasserstrategie beschlossen.
https://www.bmuv.de/download/nationale-wasserstrategie-2023
Was ich darin aber nicht finden konnte, war, wie wir Wasser wieder zurück in den Boden bringen! Und damit meine ich nicht die Renaturierung. Das versteht sich von selbst, das wir das machen. Aber das Wasser, das wir jahrzehntelang entnommen haben. Wo bzw. wie ersetzen wir das? Und was machen wir, wenn es noch heißer wird?
Unser „Wassermanagement“ verbessert sich dadurch, wenn überhaupt, nur marginal.
https://www.spiegel.de/wirtschaft/service/europas-wasserknappheit-ist-folge-von-missmanagement-a-6dae95e5-fc89-4734-86fb-a3db0ae93296
In der Strategie heißt es, Wasser ist die Grundlage allen Lebens. Diese Erkenntnis ist erfreulich. Und so gilt es, diese Grundlage zu schützen und zu sichern. Da sehe ich aber noch eklatante Mängel.
Und einen Plan zum Wiederaufwassern, in Anlehnung an Wiederaufforsten, sehe ich momentan nicht.
Ullrich Slusarczyk
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.