
Prostitution
Ein Gastbeitrag von @Jasminliebtdich

Am 7. November beschloss die Bundestagsfraktion der CDU/CSU einstimmig ein Positionspapier mit dem Titel „Menschenunwürdige Zustände in der Prostitution beenden – Sexkauf bestrafen“ und fordert damit ein Sexkaufverbot nach dem sogenannten „Nordischen Modell“. Wie zu erwarten erweist sich dieses Papier bei näherem Hinsehen als eine Mischung aus Vorurteilen, falschen Annahmen und Klischees. Das könnte ärgerlich sein, doch tatsächlich ist es gefährlich, da hier der Versuch gestartet wird, einen kompletten Beruf zu verteufeln und in die Illegalität zu treiben. Ich möchte deshalb auf einige Punkte in dem Papier eingehen.
Das nordische Modell
Bereits in der Einleitung wird, nachdem betont wird, wie wichtig der Fraktion die Menschenwürde sei und dass keine ethisch-moralische Bewertung vorgenommen würde, wild geschätzt und mit Behauptungen jongliert, die beleglos als Fakten dargestellt werden. So betrage der Anteil von unfreiwilliger Prostitution „Schätzungen zufolge 85 bis 95 %“. Schätzungen sind sehr beliebt bei Prostitutionsgegnern, weil man so die wildesten Dinge behaupten kann, ohne Anhaltspunkte für deren Stichhaltigkeit liefern zu müssen. In diesem Fall wird auf die Publikation „Sexkauf“ verwiesen, welcher diese Schätzung entnommen wurde. Nur übernimmt dieses Werk selbst unkritisch solche geschätzte Zahlen u.a. von Helmut Sporer, einem bereits mehrere Jahre pensionierten Polizisten und Lobbyisten für das Sexkaufverbot. Als solcher ist er zweiter Vorsitzender des sogenannten „DIAKA Instituts“, welches die Publikation initiierte. Man zitiert also die nicht einmal selbst erhobenen, aus der Luft gegriffenen Zahlen. Erhebungen oder Studien, die eine Grundlage dafür bilden könnten, existieren nicht.
Weiter im Text geht das Unionspapier darauf ein, dass die Zahl der angemeldeten Prostituierten seit 2019 rückläufig ist. Nun mag sich der eine oder andere nicht mehr richtig erinnern, aber im Jahr 2020 begann eine weltweite Pandemie, welche auch Deutschland und die Prostituierten nicht verschonte. Während dieser Zeit war es über viele Monate nicht erlaubt, den Beruf auszuüben und es gab auch kaum Möglichkeiten, sich anzumelden oder die auslaufende Anmeldung zu verlängern. Abgesehen davon bedeutet eine fehlende Anmeldung nicht automatisch, dass unter Zwang gearbeitet wird oder die Einnahmen nicht versteuert werden. Oft ist es die Angst vor versehentlichem Outing und dem gesellschaftlichen Stigma des Berufes, wegen der die Registrierung vermieden wird. Von besonderer Lebensferne zeugt die Betonung, dass nur 50 sozialversicherungspflichtig und zehn geringfügig Beschäftigte gemeldet seien. Es ist die Regel in der Sexarbeit und es ist gewollt, dass auf selbstständiger Basis gearbeitet wird, auch um Abhängigkeiten von Arbeitgebern zu vermeiden. Alles andere als diese geringen Zahlen wären daher sehr verwunderlich.
Im nächsten Abschnitt wird behauptet, Menschenhandel hätte sich in Deutschland unkontrolliert ausbreiten können. Diese Behauptung steht im krassen Widerspruch zu den Zahlen des BKAs, laut denen sich die Fälle von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung in Deutschland seit einem Hoch im Jahr 2003 nahezu kontinuierlich nach unten bewegen und heute etwa noch ein Drittel der damaligen Gesamtzahl betragen.
Spricht man mit Prostitutionsgegnern, so kommen diese über kurz oder lang auf nahezu genüsslich geschilderte Gesundheitsgefahren und Gewaltdarstellungen zu sprechen. Diese finden sich auch hier, indem die Behauptung wiedergegeben wird, Analverkehr führe zu Inkontinenz und Prostituierte müssten in der Praxis nahezu jede Forderung der Freier erfüllen. Klischees, die in simpel gestrickten Krimiserien für seichte Unterhaltung sorgen mögen, die jedoch in einem Positionspapier einer Bundestagsfraktion sehr deplatziert sind. Schließlich wird noch betont, dass Freier Zwang und Gewalt durch Zuhälter billigend in Kauf nehmen oder sogar unterstützen würden. Dies stützt sich auf eine Studie von Melissa Farley, einer unseriösen Quelle, da sie nicht objektiv, sondern interessengeleitet herangeht und Bestätigung für die Grundannahme sucht, statt neutral und ergebnisoffen heranzugehen. Zudem wurden Aussagen in dieser Studie nicht aufgezeichnet, sondern handschriftlich von den Interviewerinnen niedergeschrieben, ins Englische übersetzt und später für die deutsche Publikation zurückübersetzt. Dieses Stille-Post-Prinzip ist grundsätzlich bedenklich, aber hier, wo es gerade auf die Zitate und sensiblen Aussagen ankommt, völlig fehl am Platze.
In einem etwas allgemeiner gehaltenen Abschnitt spricht das Papier sodann davon, dass die Selbstverständlichkeit des Zugangs zu käuflichem Sex für Männer das Verständnis einer gewaltvollen, Frauen demütigenden Sexualität prägen würde. Frauen würden zu Objekten degradiert. Mit Verlaub, aber wenn an dieser Stelle jemand Frauen degradiert, dann die Autoren dieses Textes. Bei käuflichem Sex handelt es sich um eine Dienstleistung auf Augenhöhe, bei der Konsens eine zentrale Rolle spielt.
Der nächste Absatz lässt tief in den Politikstil der Union blicken. Hatte sie selbst 2016 beschlossen, im Jahr 2025 eine Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes durchzuführen, wird hier ganz unverblümt gesagt, dies nicht mehr abwarten zu wollen, sondern sofort tätig zu werden. Was stört mich mein Beschluss von gestern.
Nun folgt der Kern des Papiers, nämlich der Verweis auf das Sexkaufverbot, wie es neben Schweden in derzeit sieben Ländern eingeführt wurde und welch ein Erfolg das doch wäre. Entlarvend dabei der Absatz, man könne den Vorwurf, die Prostitution würde sich nach dem Verbot ins Dunkelfeld verlagern, damit kontern, dass ja bereits heute das Meiste im Dunkelfeld stattfände. Man muss kein Zyniker sein, um dies zu übersetzen, als dass es letztlich egal ist, ob Menschenhandel und Zwangsprostitution bekämpft werden oder nicht, Hauptsache man sieht nichts mehr davon.
Von großer Unkenntnis der Situation zeugt die Aussage, die Arbeitsbedingungen für Prostituierte hätten sich in den Ländern des „Nordischen Modells“ nicht verschlechtert. In Frankreich etwa hat die Gewalt gegen Sexarbeiter*innen laut der Ärztehilfsorganisation „Medecins du monde“ seit Einführung des Verbots drastisch zugenommen und es ist eine enorme Verelendung zu verzeichnen. Ähnliches ist aus Irland zu vernehmen, wo echte Polizisten ebenso wie Männern, die sich als Polizisten ausgaben, ihre Machtposition missbrauchten und Sexarbeiter*innen ausbeuteten.
Resumee
Grundsätzlich klingt das Sexkaufverbot ja erst einmal nach einer überlegenswerten Sache. Kunden werden zwar bestraft, nicht aber die Prostituierten, die somit am längeren Hebel sitzen. Doch denkt man ein wenig nach, wird schnell klar, wie lebensfern dieses Modell ist. Denn durch das Verbot macht sich jeder einzelne Kunde strafbar. Als Sexarbeiter*in hat man es somit von diesem Zeitpunkt an ausschließlich mit Kriminellen zu tun. Viele Sexkäufer werden natürlich wegbleiben und das sind dann zunächst diejenigen, die gesetzestreu und unproblematisch sind. Übergriffige Freier, die bereits heute versuchen, etwa die Kondompflicht zu umgehen, werden bleiben und die Situation für sich nutzen. Schließlich riskieren sie etwas und verlangen im Gegenzug mehr für ihr Geld. Schutzräume wie Bordelle mit Alarmknöpfen etc. für den worst case darf es nicht mehr geben, ebenso wie zwei Kolleg*innen sich keine Arbeitswohnung teilen dürfen, denn das wäre bereits Zuhälterei. Auch jeder, der nur am Rande in den Verdacht gerät, von der Prostitution zu profitieren muss mit Strafe rechnen – der Taxifahrer, der Hotelier, der Ehepartner… Es entsteht ein Klima der gesellschaftlichen Ausgrenzung und der permanenten Angst und Unsicherheit.
Die Prostitution wird durch die Einführung eines Sexkaufverbots nicht verschwinden. Sie wird aber gefährlicher und unkontrollierter. Wahrlich ironisch, dass ausgerechnet die Law-and-order-Parteien CDU und CSU sich dafür starkmachen.
Ein ausgezeichnet recherchierter und hervorragend argumentierender kritischer Kommentar zu dem unsäglichen „Positionspapier“ der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, das die Autorin förmlich in der Luft zerreißt. Die bloßgelegten Qualitätsmängel des CDU/CSU-Papiers sind bestürzend, diese Partei hat fertig.
Die CDU/CSU will zurück in die 1950er Jahre, als noch rigorose Ordnungskräfte die Sexualität überwachten, und will den einvernehmlichen sexuellen Kontakt zweier Menschen wieder strafbar machen. Das sollten wir seit 50 Jahren hinter uns haben. Die Sittenpolizei (lt. Wikipedia „Polizei-Behörden, die auf die Beförderung der allgemeinen Sittlichkeit gerichtet waren“) sollte abgeschafft bleiben!
Kontrolle über das Privatleben der Menschen auszuüben verleiht Law N Order Autokraten wie der CDU wohl so ein Gefühl der Erregung…. Genau wie die Drogen Prohibition… Man braucht halt etwas das man Verbieten kann das dann kriminell ist. Damit man gegen diese Kriminellen dann einen schönen Polizei und Überwachungsstaat aufbauen kann.