Ein Gastkommentar von RA Prof. Dr. Andreas Gran, LL.M.
Die Punkszene führt ein gegenkulturelles Lebensmodell schonungslos vor Augen. Das ist ein wichtiges Element liberaler Gesellschaft, neben anderen. Hoffentlich sterben sie nicht weiter aus.
Noch sind nicht alle weg, aber es sind viel zu Wenige geworden, unsere sog. Punks oder Punker (Punk, englisch/amerikanisch für „Unsinn“ und „Mistkerl“). Es darf allerdings bloß nicht in Vergessenheit geraten, wie wichtig diese soziale Bewegung war und ist, um Konsumhörigkeit und Engstirnigkeit zu trotzen. Nachstehend soll deshalb ein Rückblick durch eine Momentaufnahme ergänzt werden. Dem folgen jeweils ein Appell für freiheitliche und würdige Toleranz der persönlichen Entfaltung in wirtschaftlicher Hinsicht und zudem für mehr politische Teilhabe dieser radikalen Systemkritik in unserem wenig bunten Politikerspektrum.
1. Rückblick
In Zeiten der Sex Pistols („God save the Queen, her fashist regime“) entstand im verstaubten England mit seinen Nadelstreifenanzügen, Minihäuschen und Monarchiegedöns aus der noch nicht geklonten Jugend heraus eine erfrischend kritische Bewegung, die sich recht bald auch u. a. nach Berlin und darüber hinaus ausdehnte. In den Hochzeiten der Punkbewegung waren sie mit ihren Hunden, Bierpullen, bekritzelten Lederjacken und rotzigen Sprüchen in fast jeder Fußgängerzone präsent und Stein des Anstoßes für Normalos, die ihren Lebenszweck allein in der biederen Einhaltung von gesellschaftlichen Normen sahen, wie absurd diese auch sein mochten.
Die Punkbewegung hatte nie eine klar definierte Struktur, war allerdings in ihrer Symbolik angeglichen. Doch zeichnete sich schnell der Unterschied zwischen pubertierenden Protestlern gegen das Elternhaus, trinkfreudigen Profilneurotikern und den intellektuell sowie politisch interessierten Punkanhängern ab. Letztere brachten zwar nicht nennenswert unmittelbaren Einfluss in die parlamentarische Demokratie, lieferten aber in ihrem sozialen Umfeld prägnante Beiträge zum politischen Diskurs, wie u. a. Jello Biafra von der amerikanischen Band Dead Kennedys. Kernaussage war oft die Kritik an der Intoleranz der vermeintlich funktionieren Menschen, schön zum Ausdruck gebracht in Texten wie „sie merken nicht, dass sie selber stinken, nach feister Selbstzufriedenheit“ (S-Bahn von Östro 430).
2. Aktuelle Momentaufnahme
Heutzutage gibt es aber immer noch die autonomen Zentren als Zufluchtsort der Punkerinnen und Punker, es leben noch wenige auf der Straße. Aus dem Blickfeld sind sie weitgehend verschwunden, ebenso der an Häuserwände gesprühte Agonieaufschrei „Punk‘s not dead“. Derweil kann man bei Amazon lächerliche Produkte bestellen und sich zu Fasching als Punk – oder natürlich als Pirat – kostümieren. Es gibt in Fernost produzierte Kunstlederjacken mit albernen Schriftzügen und Fake-Piercings aus Plastik. Das ist die eher traurige Hinterlassenschaft dieser wichtigen gegenkulturellen Kraft im Kommerzgeschehen, aber zumindest sind mittlerweile zerrissene Jeans, Tätowierungen sowie Piercing fast salonfähig und es gibt die Zeitschrift „Business Punk“, auch für Möchtegernmanager, die ein bisschen Coolness brauchen. Geblieben ist in Deutschland zudem insbesondere der Punkrock, mit politischen Bands, wie die Skeptiker, Fahnenflucht, Slime und Dritte Wahl, und denen, die das klassische eher „prollige“ Punkbild vor Augen führen, nämlich u. a. Kotzreiz und die Pestpocken – allesamt hörenswert. Insgesamt sind das aber nur kleine Nachwehen der Szene.
Wie die Gesellschaft durch Punker beeinflusst wurde, zeigt sich weniger äußerlich im Alltag, aber dennoch ist durch sie in das gesellschaftliche Bewusstsein eine treibende Kraft eingedrungen. Nicht alle in Deutschland frönen Waschungen – hauptsächlich ihrer Autos – denn vielen wurde beim Vorhalten des Punkspiegels bewusst, dass Leben endlich und damit die Möglichkeit der zwanglosen Selbstverwirklichung dem Zeitablauf unterworfen ist. Deshalb streben immer mehr ein selbstbestimmtes Dasein an und entziehen sich den Alltagszwängen. Die aktuelle Diskussion um die Verkürzung der Arbeitszeit und das Infrage-Stellen der Ellenbogengesellschaft belegen dies. Dass zunächst mutige Punkerinnen und Punker aus dem System von Gewohnheit und Angepasstheit ausbrachen und ganz radikal die Sinnhaftigkeit dieses Daseins in Frage stellten, war ein immenser Impuls, der noch heute nachhallt.
Doch was ist nun die Perspektive, vornehmlich hinsichtlich Wirtschaft und Politik?
3. Wirtschaftliche Betrachtung
So wichtig es auch ist, dass ein punkiges „Lotterleben“, das zwangsläufig das Bruttosozialprodukt kaum pushen wird, vorgelebt wird, so sinnvoll ist es in liberaler Gesellschaft aber auch, dies nicht missgünstig vorzuhalten. Da nämlich Punks, die anstelle von „ordentlicher Arbeit“, schnorren und dem Wirtschaftssystem entsagen, ein hilfreicher Beleg für den Facettenreichtum in einer liberalen Gesellschaft sind, sei ihnen auch ein garantiertes Grundeinkommen gegönnt. Damit wird niemand große Sprünge machen und sich keine Gucci-Käppchen leisten, aber genau das wollen sie ja nicht. Einerseits mag es sein, dass sie durchaus wichtige Beiträge für die Gesellschaft noch zu leisten bereit sind, anderseits ist es insgesamt beruhigend, wenn man zumindest auf niedrigem Niveau über den strengen Winter kommt. Es ist nicht empörend, wenn sich Menschen mit Bereitschaft zum extremen Konsumverzicht für ein einfaches Leben ohne tägliche Arbeit entscheiden. Pipi Langstrumpf hätte auch nicht verhungern müssen.
Jedoch hat authentischer Liberalismus auch sonstige Blickwinkel. Auf der anderen Seite muss toleriert werden, dass jede Frau und jeder Mann getrieben von Leistungseifer leben kann, für Statussymbole, gesellschaftliche Anerkennung oder für seelische Befriedigung, wie es beliebt. Solange dies nicht protzig zur Schau getragen wird und mit skrupellosem Arbeitsverhalten garniert wird, ist es ebenso Ausdruck von freier Lebensgestaltung wie der Punk. Intolerante Punks nerven, ebenso wie intolerante Yuppies. Trotz der guten Mucke ist der Bandname „Popperklopper“ zu agro. Der Blick auf andere Lebensmodelle sollte immer allseits noch möglich sein, um sich selbst zu hinterfragen, gerne eben auf Punks, die schlicht auf der Straße chillen. Im Ergebnis muss das Motto sein „Gönnen nach oben und nach unten!“
4. Politische Ambitionen
Nun zum wesentlichen Manko: In politischer Hinsicht haben die letzten Punks keine Heimat, weil sie jegliche Form der politischen Arbeit in Parlamenten, Stadtverordnetenversammlungen usw. eher ablehnen und sich oft als anarchistisch empfinden, teils skurril gepaart mit Unterwürfigkeit beim Staatssozialismus, etwa durch Enteignungs- oder Verstaatlichungsforderungen. Das ist schade in der politischen Landschaft, denn es wäre Ausdruck von breiter Demokratie, wenn auch jemand Gehör findet, der als Punk lebt und nicht als Wirtschaftsanwalt politische Kariere macht, wie Merz, Scholz, Kubicki und und und. Der Mut, in diesem unbehaglichen Umfeld öffentlich einen politischen Beitrag zu leisten, fehlt leider oft. Ja, das Befassen mit den Regeln unserer Demokratie macht nicht nur Spaß, es ist eine Form von Angepasstheit und Selbstaufgabe, wenn jemand mit radikaler Freiheitsliebe diese Rahmenbedingung hinnehmen muss, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Aber es wäre wichtig, denn unsere Parteienlandschaft ist weitgehend zu wenig individuell. Außerdem wäre es geradezu erfrischend, Politik mit Piercings und Irokesenschnitt zu sehen und zu hören, um die Uniformiertheit zu durchbrechen.
Also: Punk und Politik ist kein Gegensatz. Vielmehr ist es wichtig, dass auch Menschen mit solcher Philosophie zu Worte kommen. Das bisherige Spektrum der etablierten Parteien bietet jedoch nur Raum, wenn man ausreichend Krawatten usw. zur Hand hat. Das gilt für die mehr oder weniger verkappten Staatssozialisten, wie für neoliberale Egoisten und unflexible Konservative, aber auch für Politikerinnen und Politiker, die frühere gesellschaftliche Ideale aufgegeben haben. Nur die Piratenpartei hat den Raum für derartige intellektuell eigenwillige, aber eben authentische und unangepasste Bestrebungen. Wer folglich Sympathie für die Punkbewegung als Gegenkultur hat und nicht unbeteiligt zusehen will, bis eine Autokratie solche freiheitlichen Triebe erstickt, dürfte sich bei den Piraten gut aufgehoben fühlen.
5. Ausblick
Um das Aussterben dieser Spezies zu verhindern, sollte die Punkbewegung wieder mehr zum öffentlichen Diskurs gehören, denn sie stellt eine extreme Abkehr von gesellschaftlichen Zwängen dar, die für die Selbstfindung von Menschen im sozialen Umfeld wichtig ist. Also verdient es auch Respekt, wenn künftig Punkerinnen und Punker wieder den Mut zum Widerstand gegen gesellschaftliche Zwänge offen zur Schau stellen. Zeil in Frankfurt, Kö in Düsseldorf, Friedrichstraße in Berlin, dort und an ähnlichen Orten der Republik sollten diese polarisierenden Rebellen Passanten zu Selbstreflexion stimulieren. In der Tradition von „Haste mal ne Mark?“ sollten sie gesponsert werden als Beleg dafür, dass das „System“ löchrig ist.
Andreas Gran