In Art. 21 (1) des Grundgesetzes ist festgelegt: Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. In Seehausen, einem kleinen Örtchen in Sachsen-Anhalt, verpasste die Verbandsgemeinde diesem Grundgesetzartikel einen Zusatz: Einschränkungen bestimmt der Verbandsgemeindebürgermeister. So oder ähnlich müssen es die Piraten des Landesverbandes Sachsen-Anhalt empfunden haben, als ihr Infostand zur Landtagswahl zwar genehmigt, Themen wie ELENA, INDECT, SWIFT, ACTA und Vorratsdatenspeicherung jedoch zu Tabuthemen erklärt wurden. Im Genehmigungsschreiben für den Infostand wurde sogar angekündigt, dass die Einhaltung dieses Aufklärungsverbotes kontolliert und bei Verstößen die Genehmigung für den Stand widerrufen würde.
Nun wäre ein Gespräch mit potentiellen Wählern schnell vorbei, wenn gerade Themen aus dem Wahlprogramm unter eine Verschweigungspflicht fielen. Die Piratenpartei hätte sogar ihre Existenzberechtigung verloren, wenn sie den Artikel 21 GG nicht mehr erfüllen könnte. Einige Lokalblätter sahen das ähnlich und berichteten sowohl über den Infostand als auch über die einschneidenden Auflagen. Die Sachbearbeiterin legte dem Antragsteller mündlich dar, dass Informationen über sonstige Themen an einem Wahlkampfstand eine Sondernutzung der öffentlichen Fläche und deshalb mit einem gebührenfreien Infostand nicht vereinbar seien.
Und genau darin liegt die Ursache für den Wirbel: Hier die Piraten, die spontan und unkompliziert Wahlkampf betreiben; dort die Behörde, deren Mitarbeiter Paragraphen reiten und Verwaltungsordnungen im Schlaf aufsagen können. Und diese Verwaltungsordnung sagt: Wahlkampfstände kosten nix, Infostände (egal ob zum drohenden Weltuntergang, dem wahren Glauben oder der Frage, welche Fußballmannschaft den besten Torhüter hat) sind nach Verwaltungsverordnung 08/15 eine Sondernutzung des öffentlichen Raums und damit gebührenpflichtig.
Hier prallen zwei Kulturen aufeinander, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Und da sich in der Verwaltungsordnung zu Wahlkampfständen kein ELENA, kein INDECT, kein SWIFT, kein ACTA und schon gar keine Vorratsdatenspeicherung fand, wurde es unter Sonstiges in die Schublade mit den kostenpflichtigen Infoständen seltsamer Spinner gesteckt. Das machte ein Anruf beim Ordnungsamt klar: die ganze Angelegenheit war der Verwaltungsmitarbeiterin in der Behörde sehr unangenehm. Allerdings hatte sie (zuerst) nicht die Erlaubnis mit der Presse darüber zu sprechen. Erst als diese Erlaubnis vom Verbandsbürgermeister persönlich ausgesprochen wurde, kam das Ausmaß des Missverständnisses an den Tag.
Von keinem der erwähnten Themen hatte sie im Vorfeld gehört. Einem Antrag auf Genehmigung eines Infostands zur Wahl hätte sie ohne Bedenken zugestimmt. Aber ELENA, INDECT, SWIFT, ACTA oder die Vorratsdatenspeicherung sind in der Verwaltungsverordnung für Wahlkampfstände nicht aufgeführt. Dass die genannten Themen die Wahlkampfthemen der Piratenpartei sind, wusste sie nicht – und es war im Antrag auch nicht expliziert vermerkt. (Ob es für nicht explizit erwähnte Wahlkampfthemen eine Sondergenehmigung laut Verfassungsordnung zu Wahlkampfständen gibt?)
Was lernen wir daraus? Eine adressatengerechte Ansprache nutzt auch beim Umgang mit Behörden ungemein.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.