
Die Piratenpartei ist eine Partei, die traditionell in der europäischen Einigung die Chancen sieht, statt Risiken zu beschwören. Das ist auch an den Anträgen im Themenbereich „Europa“ zu erkennen. So wundert es nicht, dass sich alle Anträge mit dem Ausbau, der Harmonisierung und der Verbesserung europäischer Strukturen befassen. Eben dort, wo die Antragsteller Defizite sehen. Hier eine Vorstellung der Anträge für den kommenden Bundesparteitag.
WP111: Transparenz und demokratische Kontrolle des ESM
Der Antrag von Cornelia Otto strebt an, im Absatz „Meinung zu Fiskalunion und ESM“ sechs Forderungen in unser Europa-Wahlprogramm aufzunehmen. Grundannahme ist, dass der ESM-Vertrag gegen das Grundgesetz und die Transparenz-Grundsätze der Piratenpartei verstößt. Gefordert wird dabei die Einbindung nationaler Parlamente in die Vergabe von Geldern sowie ein Mitbestimmungsrecht bei Entscheidungen über die Erhöhung des Stammkapitals. Ein wesentlicher Punkt im Antrag ist auch die Offenlegung von Gehältern und Prüfberichten.
WP076: EU-weite Abschaffung der Zeitumstellung
Die Forderung nach der Abschaffung der Sommerzeit in der ganzen Europäischen Union kommt in vier Modulen daher. Die ersten Module konkurrieren, das letzte soll den Antrag konkretisieren.
- Ob nach der Abschaffung der Sommerzeit die Sommer- oder Winterzeit gelten soll wird in einem Referendum ermittelt.
- Entweder spricht sich der BPT für die Sommerzeit aus,
- Alternativ spricht sich der BPT für die Winterzeit aus.
- Die Zeitumstellung bringt durch den Umstellungsaufwand keine Vorteile und wird in der EU nur wegen der Einheitlichkeit beibehalten.
WP133: EU-Sixpack
Der Antrag von Gilles Bordelais zeichnet in sieben detailierten Modulen eine Vision eines besseren Europas.
Modul 1: Präambel – Europaprogramm
In der Präambel fällt die Analyse des Ist-Zustands der Europäischen Union nüchtern aus: Ein Projekt ihrer Mitgliedstaaten und nicht der Bürger. Dahingegen ist es unser Interesse, dass die EU nicht die Einzelinteressen ihrer Mitgliedsländer, sondern die Interessen ihrer Bürger vertreten soll. Das Defizit an demokratischer Legitimation soll behoben werden, indem Prozesse bürgernäher gestaltet werden. Konkret wird in der Präambel gefordert, dass politischen Entscheidungen auf europäischer Ebene europaweite Debatten vorausgehen sollen, an denen sich alle Menschen angemessen beteiligen können. Das Internet soll dabei einen gemeinsamen Kommunikationsraum bieten der politische Entfaltungschancen öffnet. Deswegen ist unser Eintreten für ein freies Internet auch auf europäischer Ebene Teil des Programms in diesem Antrag.
Modul 2: Demokratie Add-on für Europa
In diesem Modul wird die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung gefordert. Deren Ziel soll es sein, die Beziehung zu den Mitgliedstaaten und Regionen neu zu strukturieren und demokratischer zu gestalten. In der detaillierten Forderung findet sich alles wieder, was das piratige Selbstverständnis ausmacht: Transparenz sowie Bürgerbeteiligung durch verbesserte Möglichkeiten sich einzubringen. Über Änderungen an EU-Verträgen und für die Verabschiedung einer europäischen Verfassung sollen Europas Bürger durch eine Abstimmung entscheiden.
Modul 3: Europäische Wirtschafts- und Währungsunion
Wie im richtigen Leben nimmt die Wirtschafts- und Währungspolitik auch hier den grössten Raum ein. Um den wirtschaftlich angeschlagenen Eurostaaten zu helfen wird ein „Marshall-Plan für Europa“ gefordert. Dieser soll durch ein Aufbau- und Investitionsprogramm die Konjunkturentwicklung fördern und längerfristige Wachstumspotenziale stärken. Die bisherige Rettungspolitik, genannt werden Spardiktate, Lohn-, Renten- und Sozialkürzungen, seien ein doppelter Schlag ins Gesicht der Bürger. Die Sozialisierung der Verluste bei gleichzeitiger Privatisierung der Gewinne führte zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Spaltung zwischen den Mitgliedstaaten. Zur Lösung wird ein einmaliger Schuldenschnitt von Staatsschulden gefordert sowie eine effektive Restrukturierung, und wenn nötig, die Rekapitalisierung maroder Banken ins Gespräch gebracht. Für die Banken selbst werden weitere Regulierungen sowie der Ausbau der Bankenaufsicht gefordert. Auch soll der Geschäftsbereich „Investment Banking“ von der übrigen Geschäftstätigkeit getrennt werden. Weiterhin wird eine Ratingagentur mit Sitz in Europa gefordert. Da der Fiskalpakt demokratisch nicht legitimiert ist und die einzelnen Parlamente keine Kontrollrechte besitzen wird er in diesem Modul abgelehnt.
Modul 4: Europäische Energiepolitik
Auch im Energiemarkt ist Netzneutralität wichtig. Deswegen wird in diesem Modul eine dezentrale Energieversorgung mit kleinen und mittelgroßen Energieversorgern gefordert. Die Netze sollen in unabhängier Hand sein, die Position der Verbraucher gestärkt werden. Treibhausgasemissionen sollen reduziert, die Energieeffizienz mehr im Vordergrund stehen. Regenerative Energien sollen gefördert werden. Das Modul formuliert eine klare Ablehnung fossiler und nuklearer Energiegewinnung, für die staatliche Förderungen entfallen sollen. Das Ziel ist ein europäischer Energiemarkt, der auf Versorgungssicherheit, Ressourcenschonung, Verbrauchernutzen und Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtet ist. SmartGrid-Verfahren werden gefordert, zeitgleich aber auf die Notwendigkeit eines sehr hohen Datenschutzstandards aufmerksam gemacht.
Modul 5: Digitale Agenda für Europa
Es verwundert nicht, dass der Bereich „Internet“ ebenfalls einen großen Raum in dieser Vision eines zukünftigen Europas einnimmt. Zuerst lesen wir hier, was sich an anderen Stellen des Wahlprogramms der Piraten schon findet: Leistungsfähige Kommunikationsinfrastrukturen fördern, digitale Teilhabe, Netzneutralität, Investitionsanreize in einem fairen Wettbewerb, die Ablehnung von ACTA, die Verurteilung von Bestrebungen zur Totalüberwachung und die Verhinderung der Monopolisierung der Kommunikationsinfrastruktur. Hier bekommen aber all diese Forderungen einen europäischen Rahmen. Ähnlich wir für EU-Bürger soll es auch für Netzinhalte keine nationalen Barrieren geben. Das Immaterialgüterrecht soll überdacht werden, vor allem soll man weg von seiner restriktiver Durchsetzung. Die Schaffung freier Software, freier Kulturgüter, offener Patentpools und freier Bildungsangebote soll auch auf EU-Ebene gefördert werden, das Immaterialgüterrecht soll beim sozialen Austausch keine Beschränkung darstellen. Das Datenschutzrecht soll auf Basis höchster Datenschutzstandards harmonisiert werden, dabei soll das Gemeinschaftsrecht mindestens dem bestehenden nationalen Schutzniveau entsprechen. Zu diesen Forderungen gehört auch die Schaffung einer unabhängigen Datenschutzbehörde, die auch Geldstrafen bei Verstössen verordnen kann.
Modul 6: Europäische Innen- und Sicherheitspolitik
Die europäische Flüchtlings- und Asylpolitik soll auf der Achtung der Menschenrechte beruhen, die Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention sollen endlich beachtet werden. Asylsuchende sollen je nach Fähigkeit der einzelnen EU-Staaten verteilt werden. Klar wird Frontex, die EU-Grenzschutzagentur, verurteilt, ja sogar die Auflösung gefordert. Statt dessen sollen die Lebensbedingungen und die Menschenrechtssituation in den entsprechenden Staaten verbessert werden. Innenpolitisch wird der Ausbau der Überwachungsstrukturen abgelehnt, ebenso der Einsatz von Drohnen, die als fatale Fehlentwicklung bezeichnet werden.
Modul 7: Europäische Verkehrspolitik
Im Bereich Verkehr sollen die Kosten, vor allem durch Umweltfolgen gerechter, sprich nach dem Verursacherprinzip, verteilt werden. Das Ziel soll eine abgasfreie urbane Mobilität sein. Die Verkehrsinfrastrukturen sollen besser vernetzt werden, was vor allem die transeuropäischen Eisenbahnkorridore betrifft, aber auch im europäischen Luftraum soll die Effizienz durch innovative Routenführungen gesteigert werden. Der Fokus dieses Modules besteht jedoch aus dem Bekentniss zur Binnenschiffahrt und dem Schienenverkehr. Der soll ausgebaut werden, während administrative Hindernisse abgebaut werden.
WP080: Schulden-, Guthabenkrise wirksam lösen
Der Antrag zeigt in zwei Sätzen, wie die Schuldenkrise gelöst werden kann: Einmalige Schuldenschnitte von Staatsschulden. Wobei Kleinanlegern und privaten Renten sowie Lebensversicherungen bis zu einem Höchstbetrag davon ausgenommen sind.
In der Antragsbegründung wird darauf verwiesen, dass der Verzicht auf Schuldenschnitte nicht sozial sei. Ohne den Schuldenschnitt würden Inflation und Vermögensblasen entstehen. Dagegen entstünde durch den Schuldenschnitt die Chance auf ein solidarisches Europa.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.