
BPT in Bochum | CC BY-SA 2.0 Joachim S. Müller
Die Piratenpartei wird in der Öffentlichkeit durchaus mit Interesse betrachtet. Es geht das Gerücht um, dass unsere Parteitage etwas anders ablaufen, als bei anderen Parteien. Wir kamen zufällig mit P. aus Q. darüber ins Gespräch:
P. aus Q.: Ich bin ja kein Pirat, aber ich bin durchaus politisch interessiert und habe mal einen eurer Parteitage verfolgt. Da sind mir einige Fragen in den Sinn gekommen.
Flaschenpost: Frag ruhig.
P. aus Q.: Welche Bedeutung hat der Parteitag? Was kann beschlossen werden, welche Arten von Parteitagen gibt es?
Flaschenpost: Ein Parteitag ist das höchste beschlussfassende Organ der jeweiligen Gliederung einer Partei. Dort können durch Abstimmungen Beschlüsse für die Gliederung gefasst werden. Was dort beschlossen wird, ist juristisch relevant. D. h., falls man der Meinung ist, das auf dem Parteitag etwas passiert, das geltenden Gesetzen widerspricht, kann man dagegen klagen. Die Beschlüsse sind bindend für die Gliederung. Die Einhaltung der Beschlüsse kann zur Not vor Gericht erstritten werden, auch wenn es in der Regel nicht dazu kommt, da die Beschlüsse durch eine neue Abstimmung auch wieder geändert werden können. Parteitage gibt es für jede Gliederung, d. h. für die Piratenpartei Deutschland, den Bund, jeden Landesverband, jeden Bezirksverband, jeden Kreisverband und jeden Ortsverband. Daneben gibt es ausserordentliche Parteitage. Aber das ist ein anderes Thema.
P. aus Q.: Wer ist auf einem Parteitag stimmberechtigt? Gibt es Delegationen?
Flaschenpost: Auf einem Parteitag stimmberechtigt sind anwesende Parteimitglieder die ihre Anwesenheit ordnungsgemäß haben registrieren lassen, d. h. die akkreditiert sind. Man ist auf dem Parteitag jedoch nur stimmberechtigt, wenn man seinen Mitgliedsbeitrag bezahlt hat. Es gibt bei der Piratenpartei keine Delegierten wie bei anderen Parteien, auch wenn das Gerücht umgeht, dass es Landesverbände gibt, die das bereits relativiert haben.
P. aus Q.: Welche Wahlmodi gibt es?
Flaschenpost: Die Art und Weise, wie abgestimmt wird, kann vom Parteitag jeweils neu festgelegt werden. Es gibt einige Abstimmungsverfahren, die sich bewährt haben. Für normale Beschlüsse sind mehr Ja- als Nein-Stimmen erforderlich. Für besonders wichtige Beschlüsse, wie z. B. Satzungsänderungen sich mindestes zwei Drittel so viele Ja- wie Nein-Stimmen erforderlich. Bei Personenwahlen hat sich die Akzeptanzwahl bewährt. Bei dieser Wahlmethode, stehen viele Kandidaten gleichzeitig zur Wahl und man hat für jeden Kandidaten eine Stimme. Die Anzahl der Nein-Stimmen wird von der Anzahl der Ja-Stimmen für einen Kandidaten abgezogen. Das Ergebnis muss mehr als 50% der abgegebenen gültigen Stimmen für den Kandidaten betragen, damit dieser gewählt ist. Es gibt jedoch auch noch andere, kompliziertere Wahlverfahren.
P. aus Q.: Welche Parteitagsämter gibt es, und wofür?
Flaschenpost: An Parteitagsämtern gibt es den Versammlungsleiter und dessen Stellvertreter, den Wahlleiter, dessen Stellvertreter und dessen Wahlhelfer. Der Versammlungsleiter erteilt und entzieht Rederecht, überwacht die formale Korrektheit des Ablaufs der Versammlung um juristische Schwierigkeiten auszuschließen, überwacht die Einhaltung der Tagesordnung und nimmt Abstimmungen vor, die durch heben von Stimmkarten abgewickelt werden können. Der Wahlleiter führt die Wahlen durch, bei denen die abgegebenen Stimmen einzeln gezählt werden müssen. Zusätzlich zu den formalen Ämtern, bei denen es besonders auf formale Korrektheit ankommt, gibt es unglaublich viele weitere Aufgaben, ohne deren Erfüllung der Parteitag nicht ablaufen könnte. Ein weiteres wichtiges Amt ist z. B. der Jurist vom Dienst, der den Versammlungsleiter darin berät, seine Aufgabe juristisch korrekt durchzuführen und schwierige Entscheidungen zu treffen.
P. aus Q.: Wie bringe ich einen Antrag auf die Liste? Wie wird die Liste zusammengestellt?
Flaschenpost: Es gibt für jeden Parteitag eine Antragsfrist. Über diese Frist werden die Mitglieder der Gliederung rechtzeitig vorher in der Regel per E-Mail benachrichtigt. Um einen Antrag auf die Liste zu bekommen, schreibt man den Text des Antrages und schickt den Text rechtzeitig vor Ablauf der Frist an den Vorstand der jeweiligen Gliederung mit dem Hinweis, dass er für den Parteitag ist. Oft werden dafür spezielle E-Mail Adressen eingerichtet. Für den Parteitag gibt es eine Antragskommission, die die Anträge sichtet und sinnvoll sortiert und gruppiert. In der Regel gibt es mehr Anträge für einen Parteitag, als auf dem Parteitag behandelt werden können. Auf dem Parteitag entscheiden letztendlich die akkreditierten Mitglieder über die Tagesordnung. Damit dort eine Mehrheit für eine Tagesordnung erreicht werden kann, erfolgen, sofern zu viele Anträge vorliegen, Abstimmungen darüber, welche Anträge zuerst behandelt werden sollen. Diese Abstimmungen haben rein formal keine bindende Wirkung, sorgen jedoch dafür, dass auf dem Parteitag eine breite Akzeptanz für mindestens eine der möglichen Tagesordnungen entsteht. Theoretisch kann jedes Mitglied eine eigene Tagesordnung für den Parteitag einreichen und zur Abstimmung stellen.
P. aus Q.: Wie läuft ein Antrag ab?
Flaschenpost: Wenn ein Antrag laut der Tagesordnung, die vom Parteitag beschlossen wurde, an der Reihe ist, erhält der Antragsteller bzw. bei mehreren Antragstellern die Antragsteller die Gelegenheit, den Antrag vorzustellen. Dann erfolgt eine Aussprache der Versammlung über den Antrag. Anschließend wird über den Antrag abgestimmt. Wenn der Antrag laut der Abstimmung angenommen ist, muss er umgesetzt werden. Die Details des Ablaufs sind in der Geschäftsordnung des Parteitages festgelegt. Die Geschäftsordnung wird zu Beginn des Parteitages von den akkreditieren Mitgliedern beschlossen.
P. aus Q.: Wofür ist das OpenMic?
Flaschenpost: Es gibt auf einem Parteitag hin und wieder Unterbrechungen aus verschiedenen Gründen. Um diese Zeit zu nutzen, ist es üblich, dass die Versammlungsleitung einzelnen Personen Redezeit einzuräumen, die mit theoretisch beliebigen Inhalten gefüllt werden können, aber in der Regel in irgendeinem Bezug zum Parteitag stehen.
P. aus Q: Welche Werkzeuge hat man als Basispirat?
Flaschenpost: Man kann Anträge einreichen, sich für alle Personenwahlen zur Wahl stellen. Geschäftsordnungsanträge stellen und an allen Abstimmungen teilnehmen. Die erlaubten Geschäftsordnungsanträge können von Geschäftsordnung zu Geschäftsordnung variieren. Es gibt oft folgende mögliche Geschäftsordnungsanträge:
- Änderung der Tagesordnung: Es wird bestimmt, was der Parteitag tun soll.
- Änderung der Geschäftsordnung: Es wird geändert, nach welchen Regeln der Parteitag ablaufen soll.
- Einholung eines Meinungsbildes: Es wird über eine vom Antragsteller gestellte Frage abgestimmt, die mit Ja oder Nein beantwortet werden kann.
- Wiederholung einer Abstimmung: Eine zuvor durchgeführte Abstimmung wird verworfen und erneut durchgeführt. Es zählt nur das Ergebnis der erneuten Abstimmung.
- Auszählung einer Abstimmung: Das Ergebnis einer Abstimmung durch Heben der Stimmkarten wird vom Wahlleiter und seinem Team ausgezählt.
- Antrag auf geheime Abstimmung: Eine Abstimmung wird vom Wahlleiter und seinem Team als geheime Abstimmung durchgeführt.
- Beschränkung der Redezeit: Die Redezeit von akkreditierten Mitgliedern, die kein Versammlungsamt inne haben, wird begrenzt. Die Begrenzung kann mit diesem Antrag auch wieder aufgehoben werden.
- Schließung der Rednerliste: Für die aktuelle Debatte werden keine weiteren Redner zugelassen, als die, die bereits auf der aktuellen Rednerliste stehen.
- Neuwahl eines Versammlungsamtes: Es wird erneut über die Besetzung eines Versammlungsamtes abgestimmt.
P. aus Q.: Was ist GO-Trolling, und wieso gibt es das?
Flaschenpost: GO-Trolling sind GO-Anträge, bei denen der konkrete Inhalt des Antrags erst in zweiter Linie wichtig ist, sondern die bei den anwesenden, akkreditierten Mitgliedern eine möglichst starke emotionale Beteiligung hervorrufen sollen. Auf diese Weise soll der Ablauf des Parteitages beeinflusst und geändert werden.
P. aus Q.: Wieso legt ihr die GO des Parteitages nicht einmal für „alle Zeiten“ fest, bzw. was verstehen Piraten unter GO?
Flaschenpost: Die Geschäftsordnung eines Parteitages sind die formalen juristisch einklagbaren Regeln, nach denen der Parteitag abläuft. Diese Regeln müssen für jeden Parteitag neu beschlossen werden, weil das im Parteiengesetz so festgelegt ist. Es bietet sich daher an, die zur Abstimmung vorher vorbereitete Geschäftsordnung so zu gestalten, dass ein Maximum an Zufriedenheit mit dem Ablauf des Parteitages entsteht. Es ist daher durchaus sinnvoll, zwischen den Parteitagen die Geschäftsordnung, die für den nächsten Parteitag zur Abstimmung gestellt wird, zu verbessern.
P. aus Q.: Wieso wird vor Ort so viel über Formalfoo (Wahlmodi, TO, GO) diskutiert, und nicht im Voraus geklärt?
Flaschenpost: Dies hat juristische Gründe. Es sind im Parteiengesetz bestimmte Abläufe vorgesehen, die eingehalten werden müssen, um Rechtssicherheit zu erhalten. Es wird über all diese Dinge auch schon vor dem Parteitag diskutiert. Jedoch müssen bestimmte Abstimmungen, wie z. B. die Wahl der Geschäftsordnung, zwingend auf dem Parteitag selber durchgeführt werden. Und für jede Wahl gibt es dann natürlich die zugehörige Diskussion auf dem Parteitag.
P. aus Q.: Wieso schafft ihr es so selten, die Tagesordnung durchzuarbeiten?
Flaschenpost: Es kommt durchaus vor, dass die Tagesordnung ganz durchgearbeitet wird. Dies ist einfach eine Frage der Gruppendynamik. Manchmal schafft es die Gruppe einfach aus Mangel an Erfahrung oder Wegen der Stärke der emotionalen Beteiligung oder aus anderen Gründen nicht, die Tagesordnung ganz durchzuarbeiten. Es würde den Ablauf eines Parteitages zu sehr beeinträchtigen, wenn man die Einhaltung der Tagesordnung zeitlich stärker erzwingen würde.
P. aus Q.: Vielen Dank.
Flaschenpost: Gerne.