Ein blindes Mädchen wirbt mit einer Petition um Unterstützer, damit sie ihren Blindenhund behalten kann. Die Email kam über eine unserer Piratenmailinglisten und ich war sofort überzeugt. Ich musste einfach auch unterzeichnen – per Mausklick.
Petitionsplattformen erfreuen sich nicht nur bei mir großer Beliebtheit – die hohen Benutzerzahlen sprechen für sich. Etliche Menschen nutzen diese Form der politischen Mitbestimmung. Das zeigt den Wunsch vieler, sich zu engagieren und diese Form der hürdenfreien Mitbestimmung in den oft stressigen Alltag zu integrieren. Gerade deshalb lohnt es sich, sich mit den unterschiedlichen Möglichkeiten dieser Plattformen zu befassen. Drei große Plattformen werde ich kurz vorgestellen:
abgeordnetenwatch.de
Seit 2005 existiert „abgeordnetenwatch.de“. Die Internetplattform hat sich überparteilich zum Ziel gesetzt, Bürgern zu helfen, Abgeordnete öffentlich zu befragen. Auch das Abstimmungsverhalten der Politiker wird dokumentiert, was oft sehr interessant ist, weil dadurch deutlich wird, ob sich Politiker an ihre Wahlversprechen halten oder bei ihrem Abstimmungsverhalten anderen Interessengruppen, etwa Lobbyisten, Vorrang eingeräumt haben. Erfolgreich hatte „abgeordnetenwatch.de“ die Nebeneinkünfte prominenter Politiker veröffentlicht.
Erst vor wenigen Tagen bestätigte „abgeordnetenwatch“, dass jeder vierte Abgeordnete ansehnliche Nebeneinkünfte hat: Spitzenreiter ist Peter Gauweiler (CSU). Er verdiente 967. 000 Euro. Für soviel Geld sind in der freien Wirtschaft entsprechende Gegenleistungen fällig. Ohne diese Plattform würden Bürger kaum eine Chance haben, sich so detalliert über Politiker zu infomieren.
Sympathisch macht „abegordnetenwatch“ unter anderem das klare Bekenntnis gegen Lobbyismus; augenblicklich läuft z.B. eine Petition zum Verbot von Lobbyistenspenden an Parteien.
Lediglich einige Kritiker sehen in der Tatsache, dass die Beiträge der Benutzer moderiert sind und die Fragesteller anonym bleiben, eine unfaire Behandlung der Politiker, die öffentlich antworten müssen und fragenden Bürgern nicht privat schreiben können. Aber 2013 gewann „abgeordnetenwatch.de“ mit dem internationalen Demokratie-Preis „Democracy Award“ weltweite Anerkennung.
change.org
Die größte Plattform für Petitionen ist „change.org“; deutschsprachig über http://change.org/de. Sehr viele mir persönlich bekannte Piraten nutzen sie, genau wie ich selbst. Diese Plattform existiert seit 2007 und arbeitet seit 2013 weltweit. „change.org“ hat inzwischen über 25 Millionen Nutzer – eine wirklich eine beeindruckende Anzahl. Auf den ersten Blick sieht die Internetseite ansprechend aus und bietet einen bunten Mix aller möglicher Petitionen. Jeder kann hier eine Petition einreichen – so wird etwa ein Mahnmal für gestorbene WM-Arbeiter gefordert und auch der Erhalt des Mauerflohmarkts kann unterstützt werden.
Hinter „change.org“ steht ein gemeinnütziger, einflussreicher Verein, der seinen Umsatz durch das Angebot erzielt, Petitionen anderer Organisationen zu schalten. Wer als Nutzer so eine Petitionen unterzeichnet, stimmt gleichzeitig zu, dass die betreffende Organisation den Nutzer künftig direkt kontaktieren darf. Für die Weitergabe dieser Nutzerdaten erhält „change.org“ eine Gebühr.
Wer einmal eine Petition unterschrieben hat, dem wird in der Folgezeit bewusst, dass es einen Algorithmus gibt, mit dem „change.org“ Emails in einigermaßen beachtlicher Frequenz an den Nutzer versendet, um zum Unterzeichnen thematisch ähnlicher Petitionen zu animieren.
Der Erfolg solcher Petitionen ist jedoch unsicher, denn viel hängt von der Aufmerksamkeit der Medien ab. Durch den öffentlichen Druck möchten die Betreiber Ben Rattray und Marc Dimas gesellschaftliche Veränderungen erzielen. Die Plattform „change.org“ ist definitiv nichts für Menschen, die sich Gedanken über Datenschutz machen oder sich durch unwillkommene Emails gestört fühlen.
epetitionen.bundestag.de
Wirklich seriös, wenn auch mit deutlich höheren Hürden versehen, ist die öffentliche Petitionsplattform des Bundestags . Seit 2005 kann dort eine Petition ins Netz gestellt werden. Wenn das Quorum von 50.000 Unterzeichnern im Zeitraum von vier Wochen erreicht ist, darf der Antragsteller sein Anliegen dem Petitionsausschuss vortragen. Nutzungsbedingungen und Zielvorstellung sowie rechtliche Grundlagen sind hier deutlich definiert. Der Weg einer Petition ist vorgezeichnet und damit ist der politische Effekt deutlich erkennbar im Vergleich zu den Plattformen, die schwerpunktmäßig auf Öffentlichkeit und Medienrummel setzen.
Im Jahr 2011 wurden 5.112 Petitionen auf der Plattform des Bundestags eingestellt, allerdings erreichten bisher nur 19 das Quorum. Demzufolge ist die Petitionsplattform des Bundestages nichts für Menschen, die mal schnell eine Petition einstellen möchten. Zum wirklichen Erfolg führt nur zielstrebiges Engagement und das geht nur bedingt vom Sofa aus.
Trotzdem stellt man sich zwangsläufig die Frage, ob „Petitionen per Mausklick“ politische Arbeit ersetzen oder nur die Illusion einer Beteiligung schaffen. Schwierig. Je länger ich mich mit dem Thema beschäftigte, je kritischer sehe ich nun die eine oder andere beliebte Plattform und gestatte mir bei allem Altruismus auch mal von den werbenden Emails für die vielen unterstützenswerten Petitionen genervt zu sein.
„Hast du denn die AGBs von „change.org“ nicht gelesen?“, fragte mich neulich ein Freund. „Nicht so richtig…“, musste ich kleinlaut zugeben. Schließlich ging doch darum, einem blinden Mädchen beim Kampf um seinen Hund zu helfen.
Winkend vom Sofa,
Christiane vom Schloß