Dass Lobbyismus weltweit ein Problem ist, kann kaum jemand bestreiten. Besonders mit Blick auf die USA kann einem mulmig werden: Offizielle Zahlen gibt es nicht, aber die Anzahl der Lobby-Gruppen in Washington wird auf bis zu 12.000 geschätzt. In Deutschland sind es (noch) nicht ganz so viele. Einem Urteil des Oberlandesgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. November folgend, musste die Bundesregierung nun eine Liste der Interessenvertreter offenlegen, denen seit 2013 ein Hausausweis zum Bundestag bewilligt wurde und die damit ungehinderten Zugang zu diesem hatten. 1.111 Personen erhielten einen solchen Ausweis von den fünf Fraktionen im Bundestag. Das ist natürlich nur eine Liste der Zutrittsberechtigten – die wirkliche Zahl der Lobbyisten bleibt im Unklaren.
Dass bestimmte Interessenverbände dadurch ein ziemlich gutes Sprachrohr zu unserer Regierung bekommen, ist offensichtlich. Noch größer ist aber wahrscheinlich der Einfluss, der durch Mittel ausgeübt wird, von denen wir überhaupt nichts mitbekommen – und auch nichts mitbekommen sollen. Doch durch Leaks, Whistleblower und andere Informanten dringen manchmal solche Informationen nach außen, so wie jetzt im Fall TTIP; das Freihandelsabkommen, das gerade von der EU ausgearbeitet wird.
Was den Inhalt von TTIP anbelangt, hält sich die EU sehr bedeckt. Das Verfahren und die Verhandlungen transparent zu machen, wird von sehr viele Seiten immer wieder gefordert, stößt jedoch genauso immer wieder auf taube Ohren. Das ging sogar soweit, das nicht einmal Abgeordnete des Europäischen Parlaments Zugang zu den Unterlagen hatten. Diese werden in einem abgeschlossenen und gesicherten Raum in Brüssel aufbewahrt, zu dem nur ausgewählte Personen Zutritt erhalten, wie zum Beispiel Mitglieder der Kommission um TTIP. Auch diese durften nur alleine in den Raum und Kopien jeglicher Art von den Dokumenten anzufertigen, ist natürlich verboten. Gegen diese Geheimniskrämerei demonstrierten einige Mitglieder des Europäischen Parlaments vor besagtem Raum (Video).
Alles, was an Dokumenten – und damit Inhalt – zu TTIP nach außen dringt, ist meistens fast bis zur Unkenntlichkeit geschwärzt. Es wird auf Intransparenz und Geheimhaltung gesetzt, obwohl es seitens der Bevölkerung und vieler Verbände, Vereine, Unternehmen und NGOs große Bedenken gegen die bis jetzt bekannten Inhalte des Freihandelsabkommen gibt. Sehen kann man das alleine an der Aktion „Stop TTIP!“, die mit einer selbstorganisierten Europäischen Bürgerinitiative über 3 Millionen Unterschriften gegen TTIP sammeln konnte.
Doch auch wenn alle Kritik an den geheimen Verhandlungen durchaus berechtigt ist, so kann man den Standpunkt der EU diesbezüglich in gewisser Weise nachvollziehen. Mit etwas Optimismus könnte man sogar der Meinung sein, dass die EU Fairness bezüglich des Handelsabkommens durchsetzen und verhindern möchte, das zu viel Einfluss von außen auf dessen Inhalt genommen wird. Wer meint, dies sei bei weitem zu optimistisch, hat wohl leider recht.
Die Redaktion des „The Guardian“ veröffentliche letzte Woche einen Beitrag und berichtet, dass sie Zugriff auf verschiedene E-Mails und Dokumente erhielten, die zeigen, dass Brüssel diversen Ölkonzernen Einblick in die TTIP-Verhandlungen verschaffte. Konkret geht es dabei um den Teil des Abkommens, der sich mit der Energiepolitik beschäftigt. Glaubt man den Dokumenten, wurden die Konzerne sogar konkret für Vorschläge zum Inhalt zu Rate gezogen. Im September 2013 gab es eine Einweisung seitens der EU, in dem zwei Handelsgruppen und elf Energiekonzerne über den Stand der Verhandlungen zu TTIP aufgeklärt wurden – darunter unter anderen Shell, BP und ExxonMobile.
Nicht nur also, dass Unternehmen oder deren Interessenvertreter direkten Zugang zu den sonst angeblich geheimen Verhandlungen und Inhalten von TTIP gegeben wird – sie werden direkt nach Unterstützung bei der Ausarbeitung der Inhalte gefragt. Dabei wird die Grenze zum Lobbyismus, wie man ihn traditionell kennt, eigentlich noch überschritten: Unternehmen wird direkten Einfluss auf die Gesetzgebung, zumindest im Rahmen der Europäischen Union, gegeben. Das geschieht im selben Zug, in dem man der europäischen Bevölkerung und sogar deren gewählten Vertretern den Zugang zu den Inhalten verwehrt.
Das Demokratiedefizit der Europäischen Union ist leider keine Neuigkeit – der Begriff ist schon so geläufig, dass er einen eigenen, recht umfangreichen Wikipedia-Eintrag besitzt. TTIP und die Verhandlungen um das Freihandelsabkommen tragen nicht dazu dabei, dieses Demokratiedefizit zu verbessern. Im Gegenteil, betrachtet man alle neuen und alten Informationen, wird es schlimmer, desto tiefer man gräbt. Unternehmen und Lobbies nehmen direkten Einfluss auf die Verhandlungen und den Inhalt, während die Bevölkerung, die genauso davon betroffen ist, vehement ausgeschlossen wird. Nicht einmal über 3 Millionen Unterschriften scheinen die EU dazu bewegen zu können, das zu ändern.
Das ist eine traurige Bilanz. TTIP ist momentan die Verkörperung des Demokratiedefizits der EU – intransparent, undemokratisch.
Falls es PiratenInnen in Flensburg gibt, die mehr zu Thema TTIP, CETA, TISA & Co. diskutieren wollen, bitte melden! Es besteht eine überparteiliche STOP TTIP, CETA, TISA & Co. Flensburg Gruppe seit kurzem, und wir würden uns über neue „Mitglieder“ sehr freuen. Leider nur über Facebook zu erreichen…
Sehr gutes Thema! Zudem wird bei diesem Thema jedem vor Augen geführt wie Demokratie, Recht und Freiheit zu funktionieren hat! Ich hoffe, dass sich noch der ein oder andere zu diesem Thema findet, der ebenfalls dazu einen Komentar abgibt! Das Thema ist auch deshalb wertvoll, weil hier wenigstens alle zu blicken scheinen wohin die Reise niemals gehen darf! Allerdings gibt es noch unzählig viele andere Themen bei denen es noch an einer allgemeinen Aufgeklärtheit mangelt!