Ein Gastbeitrag von Astrid Semm @Frau_Semm
Immer und immer wieder geistert der Ruf nach sprachlicher Inklusion durch die Medien und die sozialen Netzwerke. Die soll dann erreicht werden durch Sonderzeichen oder Großbuchstaben innerhalb von Wörtern oder durch „neutrale“ Wortendungen. Es geht hier einerseits um den Plural im Deutschen und andererseits das generische Maskulinum. „Die Ärzte“ meint den Befürwortern der geschlechtergerechten Sprache zufolge eben nur Männer, Frauen (und noch einige andere) werden dadurch schlicht ausgeschlossen, sagen sie. Wenn man allgemein über ein Mitglied einer Berufsgruppe spricht, ist „ein Arzt“ in der der Vorstellung der Rezipienten eben ein Mann, finden sie.
Ende der 80er Jahre, als ich mich erstmals auf Arbeitssuche befand, war alles noch so einfach! Da wurde ein Steuerberater gesucht, ein Ingenieur, eine Sekretärin, eine Krankenschwester. Heute ist das komplizierter, denn Ingenieure und Techniker sind heutzutage oft genug weiblich und Sekretärinnen und Krankenschwestern sind durchaus auch mal Sekretäre oder Krankenpfleger. Ganz kompliziert wird’s wenn diese Menschen zwar den Beruf haben, sich aber weder als männlich noch als weiblich definieren. Deshalb sieht man heutzutage gerne mal „Mitarbeiter (m/w/d) für unser Sekretariat“ oder „Assistant (m/w/d)“, was ja auch irgendwie komisch ist. Jeder Facette menschlicher Identität gerecht zu werden ist schlicht nicht möglich. Inklusion bedeutet „alle einschließen“. Alle. Auch die Männer, die nun sämtlich nichts für das generische Maskulinum können.
Das Schlimme daran ist, dass dieser Versuch der Inklusion Menschen ausschließt – und eben nicht nur die „weißen alten Männer“, die dem Old Boys Network angehören, das sehr vielen Frauen (vornehmlich) so verhasst ist. Er schließt Menschen aus, die auf Screenreader (Anwendungen, die den Text auf dem Bildschirm vorlesen) oder Braillezeilen angewiesen sind, weil sie nichts sehen können. Er behindert Menschen mit Leseschwäche. Das gilt bedauerlicherweise für x und y ebenso wie Sternchen, Längsstriche, Unterstriche und Großbuchstaben innerhalb von Wörtern. Trotzdem bestehen die, die sich hier ausgeschlossen oder nicht ausreichend gewürdigt fühlen, immer wieder und sehr vehement darauf, dass man sie im Schriftlichen inkludiere. Sie weisen darauf hin, dass nur so sich die Einstellung der Menschen, die die Texte lesen, ändere. Es gibt wohl sogar Studien dazu.
Was ich nie verstanden habe: Warum haben Frauen und andere Nicht-Männer sich das generische Maskulinum überhaupt auf diese Weise nehmen lassen? Warum findet in diesem einen Punkt keinerlei Emanzipation statt? Im Ernst: Ist es nicht besser, ein Eroberer zu sein als das Opfer eines übermächtigen Patriarchats? Ich habe immer stark betont, dass, wenn beispielsweise von Online-Redakteuren die Rede ist, ich mich sehr wohl als Teil dieser Gemeinschaft empfinde – und wehe dem, der meint, mich da ausschließen zu wollen, weil ich eine Redakteurin bin!
2007 habe ich einmal an meinem Schreibtisch gesessen, als hinter mir eine Männerrunde aus Ingenieuren tagte. Einer fragte, wo denn die Ingenieurin sei, die für einen bestimmten Bereich im Projekt zuständig sei. Die Antwort war, dass sie sich im Mutterschutz befinde und dass der Projektleiter, der die Antwort gab, nie wieder eine Frau für so eine wichtige Aufgabe einsetze werde, das sei einfach zu unsicher. Nun, er meinte bestimmt eine Frau im gebärfähigen Alter, aber wer weiß, vielleicht hat die Menopause ja auch ihre Tücken für Projektleiter. Gegen solche Vorurteile hilft euch kein Stern, kein Binnen-I, kein Gott und kein Spaghettimonster. Da hilft nur Selbstbewusstsein und aufrechter Gang.
Meine Damen und Nicht-Männer, ich bitte euch alle von ganzem Herzen und inständig: Lasst euere – mit Sicherheit berechtigte – Frustration nicht an der Sprache aus, sondern erobert sie euch zurück! Ärzte sind selbstverständlich sowohl männlich als auch weiblich als auch alles dazwischen. Ingenieure sind das ebenso. Ich war mal Pirat, das hat mich sogar stolz gemacht. Macht den Rücken gerade und tragt den Kopf hoch. Lasst die Menschheit wissen, wer ihr seid. Und akzeptiert nie, niemals, dass jemand euch zum Vorwurf macht, kein Mann zu sein! Der Gegenentwurf zum Patriarchat ist kein Sonderzeichen, sondern eure Emanzipation. Stärkt euch gegenseitig und zeigt den Old Boys, was eine Harke ist!
Danke für diesen Beitrag Astrid / er stellt Dinge Richtig die oft in Vergessenheit geraten
Wooooow. Super Kommentar.
Schade, dass der Krieg wahrscheinlich schon verloren ist und sich alle von einer kleinen, lauten Elite haben über den Tisch ziehen lassen.