Ein Gastartikel von Dingo
Seit Beginn der PIRATEN ist „Postgender“ Teil der Partei, leider stellt sich anscheinend jeder was anderes darunter vor. Vor einiger Zeit hat der Bundesvorstand der Bundespresse untersagt, deutsches „Gendering“ der Form „Frau↑↑↓↓←→←→innen“ zu verwenden; ein Antrag an den Vorstand, den jeweils aktuellen Konami-Code grundsätzlich zu verwenden, wurde glücklicherweise abgelehnt.
Leider werden Untergliederungen aber weiter wild gendern, movieren ϗ was noch alles. Befürwortern von „Gendering“ Po zu erklären enden in der Regel mit Blocks; schließlich zeigt nichts die Fähigkeit zu politischem Disput und Kompromissfähigkeit so stark an, wie den Gesprächspartner (oder -gegner) zu blocken, und der Vogel Strauß beweist, dass unangenehme Dinge (wie andere Meinungen) verschwinden, wenn man selbst sie nicht sieht.
Zeit, für den praktischen Gebrauch auszuformulieren, was Postgender überhaupt ist. Ich bitte um etwas Geduld, weil ein so komplexes Thema sich leider nicht kurz abhandeln lässt, ohne dass es von Leuten, die es bisher nicht anwenden, ignoriert werden wird. Bleibt also bitte dabei.
Movierung in Deutschland
Zunächst einmal die Grundlagen: Deutschland kennt für Geschlechtsbezeichnung die Movierung; darin wird aus einem unbestimmten (utrischen) Wort, wenn das natürliche Geschlecht (Sexus) besonders betont werden soll, eine Endung angehängt: Gans – Gänserich, Hund – Hündin.
Dies wird aber ursprünglich nur getan, wenn es keine eigenen Worte dafür gibt; was ursprünglich die Regel war: Nonne-Mönch. Vater-Mutter. Hund: Rüde-Teev. Knecht-Magd. Rind: Bulle/Stier-Kuh. Bruder-Schwester. Diener-Zofe. Knabe-Maid.
Zunehmend verlangten bundesdeutsche Feministen, anders als in den meisten anderen Sprachen die -in-Movierung generell zu verwenden; seit ca. 1990 wird regelmäßig von „Studentinnen und Studenten“ geredet. Das ist ein Sonderfall, weil in anderen Sprachen oder selbst in der DDR stattdessen die i.d.R. grammatikalisch maskuline Form als Utrum[1] verwendet wird.
Viele ostzonalen PIRATEN werden sich jetzt verschlucken, aber in der DDR ist als Fernsehmitschnitt folgende Ankündigung bekannt: „Es spricht der Minister für Bildung und Volksaufklärung, Frau Margot Honecker.
Frau Honecker war die mächtigste Frau in der DDR, und viele Handlungen, die nach außen von Erich Honecker umgesetzt wurden, gehen wahrscheinlich in Realität auf seine Frau zurück; damit war sie der mächtigste Mensch in der DDR, mit dem nur noch Erich Mielke überhaupt konkurrieren konnte. Man kann mit großer Bestimmtheit sagen, dass sie sich nicht „diskriminiert“ fühlte; als Bildungsminister hätte sie auch mit einem Federstrich Movierung im Schulplan vorschreiben können, was sie ebenfalls nicht tat.
Götz Aly („Unser Kampf“) beschreibt den Schock westdeutscher Feministen, wenn eine selbstbewusste, gut ausgebildete Frau aus der Ostzone sich ganz natürlich als „Anatom“ beschrieb und von einer „weiblichen Form“ nichts wissen wollte.
Geht man ins Ausland, haben wenige Länder die Movierungsbewegung übernommen; selbst im Inland ist das Nederdüütsch „unmoviert“. Der Autor – de Schriever; m: de Schrieversman (analog „der Reitersmann“), w: de Schrieversfrû, Pl: de Schrieverslüüd („Schreibersleute“).
Im Englischen, das gemeinsam mit Nederdüütsch aus dem Altsässichen stammt, ist das am deutlichsten; es gibt dort die grammatikalische Form der Movierung, sie wird aber nicht generell angewandt: god-godess, actor-actress. Natürlich ginge auch engineer-engineeress; außer, dass bei einem Ingenieur, im Gegensatz zu einem Schauspieler, vollkommen egal ist, ob er männlich, weiblich oder intersex ist.
Und genau das ist die Falle, in die die Movierungsbewegung getappt ist und sich seit über 30 Jahren weigert, herauszukommen:
Othering – Aliuligo
Movierung hat eine Gefahr: Sie kann zu othering führen. Die Esperanto-Übersetzung hilft, das Wort (frz. „l’autrui“) besser zu verstehen: Ali’ul’ig’o. Ali’a – fremd; -ul-: Einen Menschen / Individuum betreffend, ein „griz’ul’o“ ist ein „grauer Typ“; „-ig-„: Einen Zustand herbeiführen („-o“: kennzeichnet ein Substantiv). Othering kann man verstehen als „Menschen fremd/anders machen“; im Latein bietet sich dabei die Übersetzung „Diskriminieren“ an.
„Othering“ geht auf vielerlei Arten, hier betrachten wir den sprachlichen: Es gibt eine „Normalform“ („Arbeiter“), von der eine Gruppe abgeGRENZt wird („Arbeiterin“), die eben nicht „normal“ ist.
Ein Beispiel außerhalb der Sprache ist dabei „Gender Mainstreaming“ in der Spielzeugabteilung: Während früher Spielzeug auslag, und jedes Kind ging zu den Sachen, die für es besonders ansprechend waren, werden „Girly“ Spielsachen jetzt klar mit kreischend-rosa gekennzeichnet; was einen Gruppendruck auf Maiden erzeugt, a) „pink“ mögen zu sollen und b) „normale“ Spielsachen nicht mögen zu sollen. Genau deshalb gibt es „pinkstinks“, das gegen Gender-Mainstreaming auf diese Art kämpft.
Das Prinzip ist klar geworden: Durch die „Movierung“ sollen Frauen „sichtbar gemacht“ werden; stattdessen werden Frauen aber ab- und ausgegrenzt, und ihre „Weiblichkeit“ in’s Rampenlicht gezwungen, auch wenn sie vollkommen und völlig irrelevant ist.
So etwas gibt es selbst in Deutschland, und es wird aktuell als böser Rassismus bezeichnet: Einen blonden Menschen, der in Hamburg mit deutlich „boarischem“ Akzent redet, nach seiner Herkunft zu fragen, ist sehr höflich im dieses Jahr gerade mal 150 Jahre alt gewordenen Deutschland und zeigt Interesse an ihm als Mensch. Jemanden, der sehr eloquent daherkommt zu sagen, er nutze Deutsch sehr elegant ist ein nettes Kompliment.
Wird aber ein nach „Nafri“ aussehender Mensch dauernd gesagt, wie gut er deutsch könne, ist das eine Verstimmung (kein „Rassismus“), weil es etwas in der „Normgruppe“ selbstverständliches als Erfolg darstellt. Rückgriff auf Elke Heidenreich bei Lanz: In ihrem Beispiel, einen schwarzen Taxifahrer nach seiner Herkunft zu fragen (weil man im Taxi, nicht aber auf dem Amt Zeit für Small Talk hat und Taxifahrer auch nur bei den „Alltagsrassismus“ kreischenden Bildungsspießern ein ehrenrühriger Beruf ist), ist gewöhnlicher Small Talk und unterstreicht ihren Punkt: Auch ich mit „2m“ werde regelmäßig gefragt, ob ich aus dem Norden komme weil die Größe im Süden Deutschlands überdurchschnittlich ist. Von migrantisch aussehenden Leuten aber stetig als „die da“ zu reden, macht diese Leute fremd und grenzt sie in eine Gruppe aus („othering“). Im Fall Heidenreich unterstellen ihr viele „Rassismus“, weil sie Sarah-Lee Heinrich für ihre Sprache und ihren Sprachumgang kritisiert; auch das ist Ausgrenzung, weil es gang und gäbe ist, Menschen im Amt eines „Sprechers“ für ihren Sprachgebrauch zu kritisieren und Sarah-Lee Heinrich nicht in eine neue Gruppe gehört, weil sie anders aussieht. Bei den PIRATEN würde jemand, der einen öffentlichen Beitrag mit „Heil!“ unterschrieben hat, noch immer als „Beispiel für das rechte Problem der PIRATEN“ durch’s Dorf getrieben.
Das ist „Othering“. Nun ist es eine steile Behauptung, daß Movierung im Deutschen „othering“ sei, und steile Behauptungen erfordern bekannterweise besondere Untermauerung.
Esperanto kaj Seksismo
Im Esperanto hat dessen Schöpfer, Ludwig Samenhof, die Movierung aus dem jiddischen Oberteutsch übernommen; nach fundamenta Esperanto ist entsprechend „la bovo“ ein Stier, „la bovino“ eine Kuh, „la viro“ der Mann und „la virino“ die Frau. Will man herausstellen, dass man von einem Stier redet, Muss man ihn als „männliche Rind“ bezeichnen: „la vir’bov’o“.
Ido wurde etwas später von Couturat aus dem Esperanto entwickelt; nach Erfahrung mit dem Volapük, das in kurzer Zeit viele Änderungen und Reformen hatte, so dass man sich nicht mehr sicher war, ob ein Lehr- oder Wörterbuch überhaupt noch gültig war, entschied man sich aber gegen Couturat’s Reformvorschläge. Die gingen in der Tat zu weit, aber gerade die Vorschläge zur Movierung von Worten lobte Samenhof ausdrücklich: des Pferd – Ido la kavalo; der Hengst – la kavalilo; die Stute – la kavalelo; der Wallach – la kavalolo. Couturat als Mathematiker strebte nach Symmetrie, Samenhof schuf Esperanto, um im polnisch-russisch-jiddisch-litauischen Białystok den Menschen eine Möglichkeit zu geben, miteinander zu kommunizieren.
Damit sind im Ido alle unveränderten Bezeichnungen utral, im Esperanto aber maskulin; in Ido ist jede nähere Geschlechtsbezeichnung eine Abweichung von der Norm=Stammform, während im Esperanto die Stammform männlichen Sexus bezeichnet (aber nicht besonders gut, weil sie eben auch als „generalisiertes Maskulinum“ dient – wie im Deutschen), aber weiblicher Sexus eine „Abweichung von der Norm“ = „Othering“ bedeutet.
Zusammengefasst wurde diese Problematik im Artikel [Esperanto kaj Sekso]; Maschinenübersetzung [hier]. Wenn heute Leute darüber klagen, wie „sexistisch“ Esperanto sei – der Artikel ist deren Begründung (wenn sie ihn auch nicht verstanden haben).
Im Esperanto als Plansprache ist es sehr leicht, neue [Register] zu schaffen und umzusetzen; entsprechend entstand mit Iĉismo eine Bewegung, die die Stammform immer als Utrum betrachtet: das Pferd – la ĉevalo; der Hengst – la ĉevaliĉo; die Stute – la ĉevalino. Zusätzlich gibt es mehrere Bemühungen, ein utrales Personalpronomen einzuführen; dieser Autor bevorzugt aus verschiedenen Gründen Giismo: li serĉas – er sucht; ŝi serĉas – sie sucht; ĝi serĉas – es sucht; gi serĉas – er oder sie sucht; on serĉas – man sucht.
-Iĉ- wird bekannt vorkommen, weil es dem deutschen „-ich“ entspricht („Gänserich“). „-(r)ich“ war nicht viel seltenr als „-in“ als weibliche Movierung; daß man heute nicht von „der Hebammerich“ spricht, ist reine Konvention, und wäre für einen Deutschsprecher sofort verständlich.
## Ist das auf Deutschland übertragbar?
Ja. Dafür brauchte es nicht mal den [Artikel eines weiblichen Feministen, daß Gendern die Diskriminierung noch schlimmer mache].
Nach Londa Schiebinger, „Frauen forschen anders. Wie weiblich ist die Wissenschaft?“ (der deutsche Titel ist schon vorsätzlich irreführend, weil Schiebinger in dem Buch zeigt, dass eben Frauen nicht anders als Männer forschen), gehen in den USA ca. 50% der MINT-Bachelor-Abschlüsse an Frauen, während Frauen in MINT [3]-Berufen in Deutschland ein großes Problem sind – das noch viel größer wird, wenn man „weiche“ Naturwissenschaften wie Biologie ausnimmt, und die Befragten einteilt in Sozialisierte aus der Tri- und der Ostzone: Frauen aus der Trizone ergreifen ungleich seltener „harte“ MINT-Studiengänge.
In ESGW[4]-Studiengängen sieht es genau andersherum aus: Hier sinkt der Männeranteil, außer in den Wirtschaftsfächern.
Dieses Phänomen ist nichts neues: [„Als aus dem Ausbildungsgang „mathematisch-technische(r) Assistent/Assistentin“ der/die „Fachinformatiker/in“ wurde, sank der Frauenanteil von 60 auf 28 Prozent. Offensichtlich glauben viele, „Assistentin“ sei etwas typisch Weibliches.“](https://taz.de/!711290/)
Selbst das Ziel, „Frauen sichtbar zu machen“, schlägt in’s genaue Gegenteil um wenn man das Fehlen von Frauen sichtbar macht. Frauen, die heute Studienabschlüsse machen, waren dabei größtenteils nicht mal geboren, als die Movierungsbewegung erreichte, dass überall auch die weibliche Berufsbezeichnung zu nennen sei. Sehr wohl haben sie die „Girl’s Day“, „Mädchen in Männerberufen“, und viele Kampagnen erlebt – die ihnen aber anscheinend vor allem gezeigt haben, welche Berufe sie nicht ergreifen sollen, weil sie – qed an den wenigen Frauen darin – eben „nichts für Frauen“ sind.
Und schließlich der „Gender Pay Gap“: Er stagniert in Deutschland, obwohl die Frauen, die noch wegen ihres Geschlechts nicht auf höhere Schulen geschickt wurden, immer mehr in Rente gehen. Der Verband der bayerischen Wirtschaft hat mehrere umfangreiche Studien angestellt, um den gerade in Bayern sehr hohen Gender Pay Gap zu untersuchen. Genannt wurde die unter Feministen und Politikern nur als Beleg für „Sexismus“, obwohl die Studie äußerst interessant ist: Bei gleichem Bildungsstand ist der Unterschied nach Geschlechtern jeweils im Vergleich zu Männern, die die gleiche Arbeit leisten, statistisch irrelevant – 2%, die in der Tat kommen können weil bei Frauen selten gefördert wird, für ihre Interessen zu verhandeln. Die Anciennität, der Anstieg des Gehalts mit der Berufserfahrung, wird nicht unterbrochen wenn die betreffenden Mütter nicht länger als 18 Monate am Stück in Elternschaft gehen und danach zumindest in Teilzeit wieder in das Berufsleben einsteigen.
Kurzum, es gibt in der Tat viele Stellschrauben, mit denen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für alle – vor allem aber Frauen – gefördert werden können; allerdings sind das Maßnahmen, die Zeit brauchen, bis sie ihre Wirkung entfalten. Leyen’s Elternzeit, die erweitert wird, wenn beide Eltern sie nehmen, war lange Zeit die einzige sichtbare Maßnahme; dagegen standen sich Politiker gegenseitig auf den Füßen, wenn es bei „Equal Pay Day“-Demos um schöne Pressephotos ging.
Was der unbereinigte Gender Pay Gap aber sehr wohl ausdrückt, ist die Wirksamkeit von Maßnahmen, die es für mehr Frauen interessant machen, gut bezahlte Berufe zu ergreifen. Hier stagniert er aber, obwohl mit einem starken Rückgang zu rechnen wäre wenn immer mehr Frauen in den Ruhestand gehen, denen früher vom Elternhaus (zu dem die Mutter gehört) trotz guter Noten nicht die Möglichkeit gegeben wurde, eine höhere Bildung zu absolvieren.
Eine Quote in Aufsichtsräten bedeutet nichts, als dass hochqualifizierte Frauen aus dem Ausland Spitzenpositionen bekommen, auf die das Geschlecht kaum eine Rolle spielt: Nur geringfügig mehr Männer als Frauen erreichen eine Position, in der sie einen Sitz im Aufsichtsrat bekommen, >99‰ der Männer bleiben in der mittleren, gehobenen und höheren Ebene stehen. Um mehr in Deutschland sozialisierte und ausgebildete Frauen in solchen Positionen zu sehen, wäre es wichtig, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sie eben nicht in einer Ebene unterhalb ihrer Fähigkeiten stehen bleiben; dafür sind gute Bildung, Kinderbetreuung, und viele andere Faktoren wichtig.
Kurzum: Die Movierungsbewegung hat nicht nur keinen Erfolg, sondern sie schadet. Dies ist leicht erklärbar, weil sie genau das tut, wozu sie angetreten ist: Frauen – und eben den Mangel daran – sichtbar zu machen, anhand des Geschlechts eine Gruppe willkürlich von der Gesamtgruppe abzuspalten („Othering“). Und Westdeutschland hat nicht als einziges Land die Lösung von Geschlechtsdiskriminierung entdeckt, sondern es gibt sehr gute Gründe zu fragen, was deutsche Feministen dagegen machten, dass Merkel als „Bundeskanzlerin“ statt vollwertigem „Bundeskanzler“ bezeichnet wird.
Was heißt Postgender in der Praxis für PIRATEN?
Als erstes: die Stammform utrisch zu verwenden, ist ein richtiger erster Schritt. Es gibt keine „Piratinnen und Piraten“, es gibt „Piraten“. Auch ohne das schädliche Othering zu verwenden, gibt es einig Möglichkeiten, utral zu formulieren; die ETH Zürich hat dafür einen Leitfaden herausgegeben, der in Teilen gute Denkanstöße gibt .
- Anrede: „Liebe -“ geht mit geschlechtsneutralen Bezeichnungen schlecht; aber in der Grundschule haben wir gelernt, dass wir „liebe N“ im familiär-freundschaftlichen Kreis verwenden, nicht öffentlich. Warum halten wir uns nicht daran? Statt „Liebe Saarländer!“ ist ein etwas formelleres „Meine Damen und Herren Saarländer!“ gut, und beinhaltet die üblichen Anreden.
- Utrale Begriffe, wo es sie gibt: Statt „die Bürgerinnen und Bürger“ „die Bürgerschaft“, statt „Studentensekretariat“ „Studiensekretariat“. Wählerschaft statt „Wählerinnen und Wähler“.
- Keine Partizipien – einige Feministen bringen als Beleg für die „Akzeptanz“, dass viele alte Bücher an „Studierende“ gerichtet sind. Dieser Begriff sagte etwas anderes aus! Ein Buch über Technik, das sich an „Studierende“ wendet, meint das auch: Eingeschriebene Studenten(m/w/i), Werkmeister, Autodidakten. Gleiches mit „Forschende“: Das sind professionelle Forscher wie auch die von diesen oft nicht besonders gemochten Amateure. Hier hat die Kaperung des Begriffs also noch eine weit schlimmere Folge: In Deutschland, sowieso kritisiert für die vielen Steine, die Menschen in den Weg gelegt werden die versuchen, sozial aufzusteigen, werden nun auch noch Mittel und Verfahren sozial abgegrenzt. Wer sich an die „Damen und Herren Studenten“ oder die „Studentschaft“ (Stammform) wenden will, soll das bitte tun; und keinen Begriff verwenden, der gezielt für die Inklusion von nicht regulär eingeschriebenen Studenten verwendet wurde.
- Das jetzt geht in die Richtung eines der Konami-Code-Neologismen, daher verstehe ich, wenn das jemand zu weit geht, aber: Diminutive (Verkleinerungsformen) verkleinern und erniedrigen das, wofür sie verwendet werden. „Das Mädchen“ hat als Stammform „die Maid“; das ist zwar veraltet, aber es ist allgemein verständlich. Und da es auch Maiden gibt, die Altersbedingt zu „die Jungen“ gehören: „Knaben“ oder „Buben“ sind weit gebräuchlicher als „die Maiden“; und „der Schulbub“ ist sogar gängig. „Die Schulmaid“ klingt nach „Schwert-/Schildmaid“, was eine junge Frau bezeichnet, die statt passiv eine sehr aktive Rolle spielt; dementsprechend weckt der Ausdruck sogar positivere Konnotationen als „Schulmädchen(-Report)“.
#Was Postgender nicht ist, und was doch
- Postgender* pofallat keine Diskriminierung anhand des Geschlechts. Wo eine Frau unhöflich behandelt wird, ist eine Entschuldigung fällig, kein Verweis auf das „PIRATEN-Postgender“.
- Postgender* bedeutet aber sehr wohl, daß die Suche nach Gründen und Lösungen nicht beim Geschlecht aufhört, sondern dort anfängt. Alleinerziehende haben ein deutlich erhöhtes Armutsrisiko. Die Antwort darauf kann nicht sein, daß junge, kinderlose Frauen mit ESGW-Abschluss Essays mit Titeln wie [„Armut ist Frauenarmut„] schreiben und mehr Geld in Frauenbüros gegeben wird. Hilft das z.B. einer real existierende Alleinerziehende, ungewollt mit 16 oder 17 schwanger, die keine Unterstützung von ihrer Familie aus einer „bildungsfernen“ Unterschicht bekommen kann und die deswegen ohne Aussicht auf einen Ausbildungsabschluss arbeiten muss? Wer jetzt anmerkt, das Problem sei „systemisch“ und „nur auf lange Sicht zu lösen“, der schiebt das Problem in Wahrheit weg; und man kann ihm mit Keynes antworten: „Auf lange Sicht sind wir alle tot“.
- Postgender bedeutet hier, Probleme neben dem Geschlecht zu suchen. Eine Frau ist eine Frau, und wird das weder ändern können noch wollen (Trans-Frauen zähle ich zu Frauen). Was sind aber konkrete Probleme, die Frauen hier in der Armut halten? Wie können diese gelöst werden?
Im konkreten Fall führte das dazu, dass wir im Programm der PIRATEN Saarland Firmenkindergärten und KiTas in Gewerbegebieten forderten statt den Anspruch auf Kinderbetreuung an den Wohnort der Familie zu legen; und dass wir überall flexible Öffnungszeiten forderten, die es Eltern ermöglichen, ihr Kind abzugeben und ohne Scotty („Beam me up!“) rechtzeitig zur Arbeit zu kommen; bzw. nach der Arbeit auch realistisch den Rückweg anzutreten, um das Kind rechtzeitig abzuholen. „Gegenfinanzierung“ erfolgt durch „gesteigerte Steuereinnahmen, wenn Elternteile, die sonst nicht arbeiten könnten, in einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit sind“.
Genau das ist das Muster: Bessere Kinderbetreuung wird durch die Bank von allen Frauen als DAS wichtigste Problem gegen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf genannt; seine Lösung kommt allen Eltern zugute, besonders Alleinerziehenden, die oft Frauen sind. Statt segregierten „Frauenabteilen“ in Zügen die Forderung nach ausreichend Zugbegleitern, die bei allen Problemen einschreiten können, Vandalismus oft verhindern und nicht zuletzt einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehen, statt „eingespart“ zu werden. Die Forderung, Tendenzbetriebe nur noch bei öffentlichen Ausschreibungen zu berücksichtigen, wenn ihr operativer Bereich nach Betriebs-Verfassungsgesetz organisiert ist und einen Betriebsrat hat; damit haben im Pflegebereich, dessen Fachkräfte vor allem Frauen sind, Arbeitnehmervertretungen Mitspracherecht statt sich auf einen „Dritten Weg“ zurückzuziehen, der gar nicht für den „Wettbewerb in der Pflege“ gemacht wurde und der darin auch versagt. Caritas, Diakonie und DPWV ϗtp. steht es immer noch frei, die Führungsebene als Tendenzbetrieb zu besetzen. Womit die PIRATEN übrigens auch mehr Säkularität erreichen, ohne sich durch Radikalforderungen direkt aus der Diskussion zu schleudern.
Warum* Postgender?
Einige werden nun einwenden, dass Postgender ja noch mehr sei, zum Transhumanismus gehöre und entsprechend erst in einer fernen Zukunft anwendbar sei. Nein.
Ja, es gibt transhumanistischen Postgender. Aber in der täglichen Parteiarbeit hilft das wenig bis gar nichts.
Sehr wohl hilft dagegen, wenn PIRATEN-Abgeordnete im Ortsrat den Antrag stellen, die KiTa-Öffnungszeiten zu erweitern oder betroffene Eltern überhaupt zu fragen, welche Öffnungszeiten sie bräuchten.
Und schließlich: Postgender ist ein Alleinstellungsmerkmal der PIRATEN. Das ist im Moment wichtiger denn je.
Es fällt auf, in Beiträgen in der Lokalpresse statt mit dem üblich ignorierten „Hoschdebacherinnen und Hoschdebacher“ oder „Frau↑↑↓↓←→←→innen des Landfrau↑↑↓↓←→←→innenverbandes“ zu anzureden mit „die Damen und Herren Kommunalbediensteten“, „wir fordern, der Bürgerschaft zu ermöglichen, mitzuwirken“, „Minister Frau Leutheusser-Schnarrenberger war einer der besten deutschen Justizminister“.
Und ja, wer Profil hat, eckt an. Damit konnten die PIRATEN mal gut umgehen. Wer die PIRATEN sowieso ablehnt, der macht damit wenigstens piratige Arbeit bekannt; wer nachfrägt, mit dem sind die PIRATEN im Gespräch.
Wer auf Angriffe in Bezug auf Postgender seine Haltung auch begründen kann, bekommt sehr häufig Zustimmung – sehr viele Frauen haben mich auf Postgender angesprochen, aber erlebt, dass eine danach immer noch glaubte, das sei „Sexismus“, ist mir im persönlichen Gespräch nie passiert; auch wenn sie weiter die Formen der Movierungsbewegung nutzten, sahen sie den Grund, warum PIRATEN sie bewusst nicht verwenden. Auf den Hinweis, das sei „aber noch nicht so eingeführt“ kommt das Argument „wenn niemand je anfängt, Sprache so zu gebrauchen, dann wird das auch nie eingeführt“.
Daher ist Postgender keine „Altlast“, sondern wichtiger Bestandteil des Profils der PIRATEN. Wird es als Vorwand für Sexismus verwendet, dann ist diese PIRATEN-Gliederung einfach schlecht, und man sollte überlegen, in eine andere zu gehen.
Postgender zieht das Geschlecht dort heraus, wo es nicht hingehört; vor allem, wo die letzten 30 Jahre klar gezeigt haben, daß es mehr Schaden anrichtet, es „sichtbar“ zu machen, und den versprochenen Nutzen nicht bringt.
[1]: Utrum = „jedes von beiden“; allgemein bekannt ist die Ableitung „keines von beiden“, ne-utrum = neutral. Während ein Neutrum immer Geschlechtslosigkeit anzeigt, umfasst das Utrum beide Geschlechter; da man nicht mehr von zwei Geschlechtern ausgeht, übertragen alle Geschlechter.
[2]: Ja, Diminutiven wird deren Geschlecht abgesprochen, ein „Männlein“ ist quasi „entmannt“. Auch einem „Mädchen“ fehlt, wie dem „Fräulein“, das Merkmal, eine „echte“ Frau zu sein. Dazu später mehr.
[3]: MINT: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik
[4]: ESGW – Erziehungs-, Sozial- & Geistes-Wissenschaften
Redaktionsmitglied Sperling
Redakteur seit 2011, Kernteam der Redaktion seit 2013. De facto "Leitung" ab 2016, irgendwann auch offiziell Chefredakteur - bis 2023. Schreibt und Podcastet nur wenn ihm die Laune danach steht, zahlt aktuell die Infrastruktur der Flaschenpost, muss aber zum Glück nicht haften 🙂
Also ich verstehe nicht warum die Gender Debatte so wichtig ist…. Nix ändert sich dadurch, kein besserer Lohn für Frauen usw. Aber man stellt halt seine eigene Moral zu schau. Sein Gutmenschentum. Deshalb ist das ja auch bei Kapitalisten so beliebt, durch das Gendern kann man sich als progressiv inszenieren ohne etwas Soziales oder Ökologisches leisten zu müssen (Denn das würde ja Geld kosten).
Ich bin nicht gegen das Gendern, aber auch nicht dafür. Soll halt jeder machen wie er/sie meint, individuelle Freiheit eben ! Aber Moralapostel die mir irgendwas in die eine oder andere Richtung vorschreiben wollen kann ich nicht brauchen.
Vielleicht mag da nochmal ein Lektor über den Text sehen?
Der hat noch viele einsame *, die wohl mal zu einer Fettung gehörten, komische sonstige Zeichenfolgen (wie ↑↑↓↓←→←→ und ϗ) und seltsame Formulierungen („Befürwortern von “Gendering” Po zu erklären“?).
Die Sternchen gucken wir uns mal an, der Konami-Code usw. ist aber so gewollt.
Davon, das der gesamte Beitrag aus Betroffenenperspektiven ignorierenden Halbwahrheiten besteht mal abgesehen: Dass selbst die verfassungsgerichtlich bestätigte Geschlechtskategorie ‚divers‘, die selbst in der allgemeinsprachlichen Praxis etabliert ist, unterschlagen wird, zeigt die diskriminierende Absicht des Textes gegenüber nichtbinären Menschen, genauso wie die Unterschlagung der neutralen Anrede „Hallo“ zu Gunsten des binären „Damen und Herren“.
Auch das lächerlich machen des Genderns durch bewusste Nutzung des Konami-Codes statt einer ernstahften Auseinandersetzung mit der Thematik und den von Nutzenden angebrachten Gründen unterstreicht, dass es hier nicht um eine ernsthafte Debatte geht sondern um einen populistischen Angriff auf Menschen, die auf Wunsch von Betroffenen inklusive Formulierungen nutzen. Konservatives Framing, von dem wir bei den PIRATEN leider zu viel haben, als dass queere und/oder progressive Menschen uns ernsthaft wählen können. Schade, aber nicht neu.