
INNERPARTEILICHE-BETEILIGUNG | CC BY NC ND Timecodex
Meiner Meinung nach ist einer der größten Irrtümer in der Piratenpartei, dass wir keine Partei im Sinne des Parteiengesetzes sind, sondern eine basisdemokratische Veranstaltung, bei der die Basis immer und überall alles (mit)bestimmt und der Vorstand dies lediglich auszuführen habe.
Woher diese Irrtum kommt, ist mir ehrlich gesagt etwas schleierhaft – in der Satzung steht nichts davon. Ich konnte auch keinen Parteitagsbeschluss dazu finden, lasse mich aber gerne eines anderen belehren – bitte dazu die Kommentare nutzen.
Begriffserklärung
Basisdemokratisch
Basisdemokratische Konzepte verfügen, im Gegensatz zu repräsentativen Strukturen, über keine Repräsentanten, da alle relevanten Entscheidungen von den Betroffenen selbst durch „unmittelbare Beteiligung“ getroffen werden. Dies geschieht entweder durch Abstimmung oder direkte Aktionen. Sofern es in manchen Konzepten Amtsträger gibt, sollen diese unter dem Vorbehalt der ständigen Abwahlmöglichkeit stehen und vor allem nur das ausführen, was die Basis entscheidet.
Basispartizipativ
In einer Gruppe haben sich Menschen in einem Verein/einer Partei organisiert. Der Vorstand vertritt den Verein/die Partei nach außen, schließt Verträge ab, beschäftigt ggf. Personal und führt die Geschäfte. Rein rechtlich gesehen könnte der Vorstand ganz alleine agieren, eben weil er durch die Wahl dazu befugt ist.
Strukturell möchte aber der Vorstand seine Mitglieder in alle Entscheidungen involvieren, damit er einerseits nicht alleine mit der Arbeit dasteht und andererseits später nicht zu Streitigkeiten kommt. Diese Beteiligung entsteht durch Informieren, Meinungen einholen (Umfragen), Entscheidungskompetenzen abgeben und – beispielsweise durch Themenbeauftragungen – Entscheidungsmacht übertragen.
Warum wir das eine und nicht das andere sind
Wir haben in dieser Partei gewählte Vorstände, die legitimiert sind, Dinge zu entscheiden – Basisdemokratisch würde aber bedeuten, dass die Basis alle Entscheidungen trifft. Das kann sie nicht, einfach, weil das nicht so in der Satzung steht, und mangels funktionierendem Tool könnte sie das auch nicht. Und tut sie auch nicht.
Was wir aus meiner Sicht im erheblichen Maße sind, ist Basispartizipativ. Basispartizipativ bedeutet bei uns, dass sich – im Gegensatz zu anderen Parteien – die Basis an allen Inhalten, Anträgen und Arbeiten beteiligen kann und durch Mitarbeit Anteil hat an den Dingen, die getan (bzw. nicht getan) werden. Durch diese direkte Beteiligung hat Sie (bei konstruktiver Beteiligung selbstverständlich) auch Einfluss auf die Entscheidungsfindung (sonst macht keiner was). Die Basis sind bei Piraten zudem nicht nur die Mitglieder, im Prinzip könne dies alle Menschen sein; wir nennen sie FreibeuterInnen.
Natürlich hat das Grenzen: Dort, wo es darum geht, Dinge zu tun, die die Struktur dieser Partei funktionsfähig halten, ist eine Mindestkompetenz (IT, Buchhaltung, Pressearbeit) oder die Bereitschaft, zu lernen oder einfach „zu tun“ erforderlich. Zudem hat die Mitbestimmung dort, wo es um inhaltliche Kriterien geht (Softwareauswahl, Buchungsregeln, Publikationsthemen) logische Grenzen. Zurecht, denn untaugliche Software hilft niemanden, bei den Buchungen gibt es Gesetze und Vorgaben und die Öffentlichkeitsarbeit der Partei wird durch den dafür gewählten und legitimierten Vorstand (§ 9a, (2)) bestimmt.
Wo es zum Konflikt kommt
Zum Konflikt kommt es immer dann, wenn sich Mitglieder nicht vertreten fühlen – das kennen wir alle aus dem „richtigem Leben (RL)“ da draußen in den Kommunen und Parlamenten.
Der demokratische Umgang damit – im RL – ist, sich politisch in Parteien zu organisieren oder in einer NGO aktiv zu werden, um über – ja, böses Wort für manche – Lobbyarbeit Dinge zu erreichen. In einer Partei bedeutet das, sich offen zu versammeln und Forderungen zu artikulieren – so etwas nennt man Flügelbildung, das ist gut und wichtig.
Der totalitäre Umgang damit ist – im RL – sich über Gesetze hinwegzusetzen (z.B. Demonstrationen ohne Anmeldung, verbale Gewalt, Mobbing, Verleumdung) oder Personengruppen Rechte zu entziehen (z.B. Demonstrationsrecht einschränken, Andersdenkende schikanieren, Presseberichterstattung verhindern etc.). In einer Partei bedeutet das, sich im Verborgenen zu versammeln, sich wissentlich über demokratische Beschlüsse hinwegzusetzen und einfach zu tun, was man denkt, weil das ja besser sei – und nicht den Weg der demokratischen Mehrheit zu suchen. Und zwar, weil man ja moralisch überlegen sei – wahlweise auch jung und modern. Und wer sich dagegen wehrt oder dies anprangert, der wird geschmäht oder gemobbt, meist beides – denn bei totalitären Personen heiligt der Zweck die Mittel.
Wo steht ihr?
In unserem innerparteilichen Konflikt haben wir sowohl im sozial-liberalen als auch beim links-liberalen Flügel vorwiegend demokratisch, aber auch einige totalitär, dafür aber um so lauter agierende, Mitglieder. Bei letzteren sind sicher einige dabei, denen nicht bewusst ist, dass Ihr Art Politik zu machen undemokratisch ist – aber das heilt Ihr Tun nicht.
Deshalb bitte ich euch: Findet für euch eine Antwort auf die eine zentrale Frage: Wo seht ihr euch selbst, mit wem solidarisiert Ihr euch und – vor allem – war und ist euer Handeln demokratisch oder totalitär?
Sperling
Redaktionsmitglied Sperling
Redakteur seit 2011, Kernteam der Redaktion seit 2013. De facto "Leitung" ab 2016, irgendwann auch offiziell Chefredakteur - bis 2023. Schreibt und Podcastet nur wenn ihm die Laune danach steht, zahlt aktuell die Infrastruktur der Flaschenpost, muss aber zum Glück nicht haften 🙂
Es gibt Gesetze, die dich zwingen Vorstände zu haben. Das ist nicht mehr oder wenig.
Von Anfang an, haben sich Piraten aber gegen diese Konstruktionen gewehrt und versucht konsensuale und basisdemokratische Gruppen zu bilden. Das ging sogar soweit, dass ein KV mal alle Mitglieder in den Vorstand, bis auf Rechnungsprüfer, wählte. Das geschah in Hessen und gerade Hessen ist besonders basisdemokratisch organisiert gewesen. Dort war der verwaltende Vorstand ein dauerhafter Anspruch der Basis.
Der Meinungsbetrag enthält so viele Unterstellungen und Provokationen dass ich mich frage, was er bezwecken soll.
Ist schon wieder BPT?
Darf ich die Definition von Totalitär mit auf den Weg geben?
„das gesamte politische, gesellschaftliche, kulturelle Leben [nach dem Führerprinzip] sich total unterwerfend, es mit Gewalt reglementierend“
Im übrigen ist es grunddemokratisch, dass sich innerparteiliche Strömungen bilden, die versuchen Mehrheiten zu organisieren für ihre Ansichten, ihre Ideologie, ihre Weltsicht. Genau das ist Demokratie. Mehrheiten für politische Ansichten und Vorgehen zur organisieren für eine Wahl. Der Vorstand vertritt ja auch seine ganz eigene Ideologie, mit der sich andere nicht identifizieren können. Nur weil jemand gewählt ist, heißt es nicht, dass man ihm und seinen Ansichten folgen muss. Eine Opposition, auch eine innerparteiliche, ist nicht totalitär sondern grunddemokratisch.
Netter Versuch, aber nirgends steht etwas von „innerparteiliche Opposition ist totalitär“ – diese Unterstellung ist falsch.
Aber: Mobbing ist eine Form der psychischen Gewalt, demzufolge trifft „mit Gewalt reglementierend“ sehr gut auf einzelne zu – vor allem, da Sie sich in „geheimen“ Gruppen zusammentun und Kampagnen fahren. Und es ist auch Fakt, das einzelne der Meinung sind, das man schon mal Bundesparteitagsbeschlüsse ignorieren könne, sich also alle der Meinung weniger zu „unterwerfen“ haben.
Von dem ignorieren der Satzung oder auch Datenschutzrechtlichen Vorschriften (dem wurde und wird zum Glück Einhalt geboten) mal ganz abgesehen.
Als Landesvorsitzender wäre ich froh, wenn es basisdemokratisch wäre und alle Mitglieder alles machen und entscheiden, was zu tun und zu entscheiden ist.
Aber ich sehe kaum eine Beteiligung der Kreisvorstände an LaVo-Sitzungen und auch die sonstige Basis übt sich eher in Abwesenheit, sodass ist das Interesse an basisdemokratischer Teilhabe als eher übersichtlich einschätze. Das setzt sich dann bei Landesmitgliederversammlungen vor, an denen nicht mal 55 der Mitglieder teilnehmen. Das war dann auch bei dem hier temporär eingesetzten Online-Tool namens SME nur marginal besser.
Von daher ist das eine Schattendiskussion, deren Sinn sich mir nicht erschließt.
Was mich stört, ist, dass es nicht nur vereinzelt sondern relativ oft vorkommt, dass Arbeitsgemeinschaften sich intensiv mit einem Thema befassen, eine gut durchdachte Beschlussvorlage liefern – und dann auf dem BPT eine kleine, lautstarke (man könnte auch böse „populistische“ sagen) Minderheit es schafft, die Stimmung im Saal zu kippen (besonders bei denen, die sich, aus welchen gründen auch immer, auf diesen Punkt nicht intensiv vorbereitet haben). Und dann war nicht nur die Arbeitszeit der AG für die Katz sondern es kommt ein Punkt, zu, Beispiel im Wahlprogramm, heraus, der den Normalwähler abschreckt und höchstens bei radikalen Aktivisten Zustimmung findet – und für den an Infoständen engagierte Mitglieder einstehen müssen, obwohl sie sich eigentlich dafür schämen.
Das ist dann zwar „basisdemokratisch“ – aber in solchen Momenten wünsche ich die Basisdemokratie zum Teufel. Netürlich könnten mehr „normale“ Mitglieder zu Parteitagen fahren – aber die Erfahrung zeigt, dass dies oft nicht geschieht. Und nur deshalb ist der Einfluss kleiner radikaler Strömungen überhaupt möglich.
Verbesserungsvorschlag?
Möglicherweise Einrichten einer Programmkommission, die inhaltlich alles aus einem Guss vorbereitet?
Oder Abstimmung wirklich durch die ganze Partei (aufwändig und teuer, ich weiß).
Wer eine andere Lösung hat: Gerne her damit!