Ein Gastartikel von Arko Kröger
Ja, die Überschrift ist albern, aber dieses Thema regt mich ein bisschen auf. In den letzten Tagen gab es Aufruhr wegen einer angeblichen Kürzung der Leistungen für Arbeitslose, ausgelöst durch einen Spiegelartikel, der dazu noch hinter einer Paywall [1] versteckt war. Lindner wurde daraufhin stark attackiert. Tatsächlich scheint es so, als wäre jedoch nur der Bedarf eines Etats angepasst worden [2]. Ob das so richtig ist oder nicht, sei mal dahingestellt. Doch Lindner ist leider nicht ganz unschuldig daran, dass so sehr darauf spekuliert wird, dass er irgendwo kürzen wird. Denn während seine Partei nicht unbedingt für soziale Gerechtigkeit bekannt ist, sind seine Pläne verdammt inkonsistent und seine Kommunikation lässt vermuten, er denkt, dass er übermärktliche Finanzkräfte habe.
“Ach komm, jetzt übertreibst du aber ein bissel…”
Ich wünschte. Aber keine Sorge, ich will euch zeigen, was genau ich eigentlich meine. Fangen wir einfach mal mit der aktuellen Situation an. Die Bundesregierung insgesamt ist in einer schwierigen Situation. Bedingt durch die russische Invasion sind die Preise für Öl und Gas in die Höhe geschossen. Dies hat nicht nur die Inflation ausgelöst, sondern auch unsere Handelsbilanz zum Abstürzen gebracht [3]. Und während ich zwar grundsätzlich dafür bin, dass Deutschland seine Importe erhöhen sollte, um die Handelsbilanz wieder auf “neutral” zu bekommen, habe ich ehrlich gesagt nicht gewollt, dass diese Importe von einem faschistischen Diktator kommen, der gerade dabei ist, ein vollkommen friedliches Land in Schutt und Asche zu bomben. Jedenfalls: Die Inflation ist da, und wir müssen sie bekämpfen. Lindner will dies primär mit einer restriktiveren Fiskalpolitik erreichen, also durch weniger Verschuldung. Was bei Vollbeschäftigung zwar sinnvoll sein kann damit die Wirtschaft nicht überhitzt – bei explodierenden Ölpreisen aufgrund eines Angebotsschockes dagegen weniger.
Gleichzeitig müssten wir die Investitionen in die erneuerbaren Energien sowie die Umstellung auf Elektrizität vorantreiben (und eventuell die 3 Atomkraftwerke, die wir noch zur Verfügung haben, anwerfen, wenigstens ein bisschen länger, aber anscheinend sind selbst die Betreiber nicht ganz überzeugt davon), was eher ein Argument für eine expansive Fiskalpolitik wäre. Eine restriktivere Fiskalpolitik dagegen hätte wahrscheinlich schlechtere Trade-Offs als in einer normalen überhitzenden Wirtschaftssituation.
Jetzt ist es aber so, dass die Inflation natürlich die Ärmsten am härtesten trifft und diese sich auch kaum wehren können, weshalb dafür einige Gegenmaßnahmen in die Wege geleitet wurden. Zum einen das 9-Euro-Ticket, welches die Zug- und Busnutzenden entlastet und zum Teil auch einen temporären Umstieg vom Auto auf die Bahn gefördert hat, was insgesamt also sehr hilfreich war, da dies indirekt den Ölverbrauch reduziert. Der Tankrabatt war da weniger hilfreich. Zwar ist er interessanterweise durchgereicht worden, was die meisten Ökonomen tatsächlich nicht erwartet haben [4], allerdings ist die Situation recht komplex, und es ist möglich, dass die Weitergabe-Raten doch überschätzt wurden [5]. Zudem ist der Tankrabatt anreiztechnisch relativ unsinnig, weil die hohen Preise an der Tanke ja eben die Knappheit des Gutes zum Ausdruck bringen sollen. Kurz gesagt: alles, was den Ölverbrauch reduziert, reduziert auch den Ölpreis. Daher ist das 9-Euro-Ticket sinnvoller als der Tankrabatt, auch wenn das Ticket natürlich nicht direkt denen hilft, die ohnehin massiv unter den Ölpreisen zu leiden haben, da es indirekt auch den Preis an der Tanke reduziert.
Beide Maßnahmen laufen aber demnächst bereits wieder aus, weil wir uns das laut Lindner “nicht leisten könnten”. Er will also im Haushalt konsolidieren, obwohl zumindest das 9-Euro-Ticket über Umwege auch die Inflation senkt? Aber wenn er konsolidieren will, warum tut er das denn nicht bei denen, die bereits genug haben? Wenigstens in einer Krise internationaler Tragweite sollte man doch zu dem Schluss kommen, dass nur diejenigen verzichten können, die genug haben, um zu verzichten. Mit Eigenverantwortung hat die aktuelle Krise ja relativ wenig zu tun, oder? Ab hier wird es etwas weird. Schaut euch mal folgenden Tweet vom 11. Juni an:
“notwendige Entlastung darf nicht mit schädlicher Belastung verbunden werden”.
Uh, ok. Aber, wenn du die Bürger z.B. über die Mehrwertsteuer entlasten willst, gleichzeitig aber die Schuldenbremse einhalten willst, dann geht das nur über eine Belastung irgendwo anders. Sei es in der Form von Steuererhöhungen oder in Form von Kürzungen im Haushalt – was letzten Endes auch eine “Belastung” ist, beziehungsweise “eine Rücknahme der Entlastung/Unterstützung”. Was dann denselben Effekt hat. Dieses “Entlastung nicht mit Belastung verbinden” kam während einer Debatte über ein angebliches Steuerkonzept der Grünen auf, dessen Existenz vom BMWK, also Habecks Ministerium, dementiert wurde [6]. Das angebliche Konzept sollte einen Spitzensteuersatz von 57,4% enthalten (Kleiner Fun-Fact: Spitzensteuersätze von 53 bis 56 Prozent waren in der BRD relativ normal, auch zu den “Goldenen Zeiten des Kapitalismus”).
Ähnlich widersprüchlich liest sich auch der folgende Tweet vom BMF, also Lindners Ministerium:
Wir müssen schnellstmöglich zurück zur #Schuldenbremse, um die #Inflation unter Kontrolle zu bekommen, so @c_lindner. Es wird gezielte weitere #Entlastungen für die ganze Breite der Gesellschaft geben.
— Bundesministerium der Finanzen (@BMF_Bund) June 7, 2022
“Es wird gezielte weitere #Entlastungen für die ganze Breite der Gesellschaft geben.”
Aha. Gezielt für die Breite der Gesellschaft, das klingt auch überhaupt nicht bürokratisch…
Hab das dann auch relativ schnell etwas schnippisch kommentiert:
Die Fünfeckisierung der Quadratur des Kreises D:
— Arko Kröger/@Piratenpartei(🏠🇺🇦) (@Hellinvernel) June 7, 2022
Und wenn der Tweet noch Steuererhöhungen ausschließen würde, hätte das ganze noch eine 4. Dimension erhalten.
Was ich sagen will: Lindner will alles haben, aber nichts tun, um den Spielraum dafür freizugeben. Außer er hat irgendwo in Berlin eine Druckerpresse gefunden, aber davon gehen wir jetzt mal wohlwollend nicht aus.
Interessant daran ist, dass dies kein Einzelfall innerhalb der Partei ist. Denn beim letzten Wahlkampf hatte die FDP ein Wahlprogramm mit einem Steuerkonzept, das, um es kurz zu machen, als mittelschwer wahnsinnig einzustufen ist [7].
Fairerweise nehmen wir mal aber die Zahlen von Statista. Laut deren Angaben [8] hätte das Programm ein Loch in den Haushalt von 87,6 Milliarden gerissen. Dieses Geld muss natürlich irgendwie beschafft werden, sei es durch Kürzungen woanders oder durch Schuldenaufnahme. Wichtig: Das ist die Analyse des gesamten Programms. Das heißt, dass die Kürzungen, die im Programm bereits drin sind, bereits verrechnet sind. Und da die FDP die Schuldenbremse einhalten will, bedeutet das im Klartext, dass diese Kürzungen on top noch auf das Wahlprogramm draufkommen würden. Wo das herkommen soll, ist also nicht geklärt.
Was mich daran so sauer macht, ist, dass FDP-Anhänger kackdreist behaupten, dass die FDP die gesamte Gesellschaft entlasten würde, während die linken Parteien nur die Geringverdiener unterstützen würde. Das stimmt aber nur, wenn man sich nur die Pläne der Parteien bei sofortiger erfolgreicher Umsetzung anschaut [9]. Das Programm der FDP ist aber nicht umsetzbar. Auf diese Weise verschafft sich die FDP einen strukturellen Vorteil gegenüber den anderen Parteien. Denn diese Inkonsistenz erlaubt es ihr, zu behaupten, dass sie alle entlasten würde, wenn sie an die Macht käme, obwohl diese Entlastungen gar nicht machbar sind, weil sie eben nicht gegenfinanziert sind. Wirft man ihr nun vor, dass sie bei den ärmeren kürzen würden, können sie dies einfach als Strohmann kritisieren, obwohl das durchaus eine mögliche Konsequenz dieses Programmes sein könnte. Es ist ja eben vollkommen unklar, wie die Finanzierung ablaufen würde. Grüne und SPD dagegen sind vorbildlich und zeigen, wie deren Entlastungen funktionieren sollen. Und ja, reichere werden in deren Programmen stärker besteuert, aber es sind auch kleinere Steuersenkungen für ärmere dabei. Und: Es ist auch, im Gegensatz zu dem Programm der FDP, keine Fantasierechnung, die man einfach auf ein Blatt Papier geworfen hat. Die FDP löst diesen Widerspruch für sich selber mit einigen Trickargumenten auf. Schauen wir uns die mal an.
1. Die Steuersenkungen finanzieren sich durch Wirtschaftswachstum
Nein. Zum einen werden die Effekte von Firmensteuersenkungen [10] überschätzt, zum andern bringen auch Steuersenkungen für Reiche im Allgemeinen keinen Wachstumseffekt [11]. Generell ist der Ansatz der Trickle-down-Ökonomie Empirisch einfach nicht haltbar [12].
2. Die Steuersenkungen finanzieren sich durch die Laffer-Kurve.
Ahja, die Lafferkurve. Die ist auch theoretisch sehr interessant zu analysieren. Die Idee hinter der Laffer-Kurve ist folgende: Je höher der Steuersatz, desto höher die Besteuerungsgrundlage, also das, was besteuert wird, aber auch der Steuerwiderstand steigt an, also der Anreiz, diese Zahlung zu vermeiden. Ein Steuersatz von 0 Prozent hat keine Besteuerungsgrundlage, also auch keine Steuereinnahmen, während ein Steuersatz von 100 Prozent auch keine Steuereinnahmen bringt, wegen maximaler Vermeidungsreaktion. Der Steuersatz, der also die meisten Einnahmen bringt, muss also irgendwo zwischen diesen beiden Punkten liegen. Das Problem ist nur: die Laffer-Kurve macht keinerlei Aussagen darüber, wo genau sich dieser Punkt befindet. Es gibt keine mathematische Formel dahinter, der Punkt muss also geschätzt werden. Unter Ronald Reagan wurden die “Reaganomics” [13] unter anderem mit dieser Hypothese begründet, doch die Steuersenkungen führten nicht zu mehr Einnahmen. Tatsächlich muss das die Laffer-Kurve nicht mal widerlegen: Denn es kann auch sein, dass sich der ursprüngliche Steuersatz bereits vor dem Punkt und nicht dahinter befand. Dadurch sind sowohl Steuermehr- als auch Mindereinnahmen mit derselben Theorie erklärbar. Daher ist die Laffer-Kurve nicht falsifizierbar.
Frei nach Rezo: Es handelt sich nicht um eine Wirtschaftstheorie, sondern um einen Wirtschaftsglauben.
3. Die Regierung könnte ja auch einfach mal die vorhandenen Mittel effizienter nutzen
Ja gut, kann man machen, aber warum sollte ausgerechnet die FDP die vorhandenen Mittel effizienter nutzen als andere Parteien? Warum manche Liberale das glauben, hängt damit zusammen, wie Liberale auf den Staat schauen. Denn die Staatsskepsis hat auch ein gewisses Element von Politikerskepsis. (Manche) Liberale sehen Politiker als den Grund an, warum Staat nicht funktioniert, weil der Staat nicht die “notwendigen, harten Maßnahmen” durchführen würde, die notwendig seien, um effektiv zu sein, weil sie nicht durch den Markt, sondern durch andere Prozesse legitimiert werden. Wähler seien angeblich immer anfällig für Populismus, und somit können auch die damit legitimierten Politiker nicht effizient sein.
Der Markt wird aus der Sicht der Liberalen als “Ersatzdemokratie” angenommen, wo du “mit deinem Geld abstimmst”, und da der Markt immer effizient ist, werden auch immer “die richtigen Leute” an die macht bzw. an das Geld kommen. Nur könnten dann aber gar keine Politiker an die Macht kommen, die derartige Maßnahmen durchführen. Auch die FDP kann somit keine Politiker haben, die derartige Maßnahmen durchführen würden. Manche beschränken das dann nur auf linke Politiker (ja genau, alle anderen sind kacke aber WIR sind anders) und lösen den Widerspruch so auf.
Aber zurück zur Frage: Warum sollte ausgerechnet Lindner die Mittel, die ineffizient genutzt werden, nun besser nutzen? Ich mein, es gibt durchaus Möglichkeiten dafür, die sind aber auch nicht unbegrenzt und manche davon sind mit Umstellungskosten verbunden. Das gilt auch z.B. für klimaschädliche Subventionen. Warum sollten die Grünen diese denn nicht abschaffen wollen?
Letztendlich ist das Argument eher ne Debatte darüber, wie gut Politiker unpopuläre Maßnahmen durchführen können, und hier in Deutschland gibt es sogar ein entsprechendes Beispiel: Gerhard Schröder mit seiner Agenda 2010. Er hat sogar (im Gegensatz zu Ronald Reagan und Margaret Thatcher) gegen seine eigene Partei operiert. Er hat Steuern gesenkt, mit der Riester-Rente eine kapitalgedeckte Altersvorsorge propagiert und bei den Arbeitslosen gekürzt. Er hat also durchaus unpopuläre Maßnahmen durchgeführt. Heißt natürlich nicht, dass es was gebracht hat. Nur weil eine Maßnahme unpopulär ist, heißt das nicht, dass sie auch dazu geeignet ist, bestimmte Ziele zu erreichen.
Also, wenn mir ein FDPler noch einmal so ein Konzept vorlegt, das nicht gegenfinanziert ist, und dann behauptet, das würde sich irgendwie gegenfinanzieren, wäre es für uns alle das beste, wenn man es ihm einfach gepfeffert um die Ohren haut und ihn solange mit Farbbeuteln bewirft, bis er erklärt, wie die Gegenfinanzierung auszusehen hat. Denn mit einem derartig inkonsistenten Programm aufzutreten und zu behaupten, man entlastet alle ist…
Ach, der Jens bringts eigentlich auch ganz gut auf den Punkt:
Wahlprogramme, die gleichzeitig versprechen
✅ massive Steuersenkungen
✅ Mehrausgaben für Klimaschutz, Investitionen usw.
✅ keine Neuverschuldung
sind vor allem eines:
🆘 eine intellektuelle Beleidigung der Wählerinnen und Wähler
— Jens Suedekum (@jsuedekum) July 23, 2021
________________
[1] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/haushalt-christian-lindner-plant-starke-kuerzungen-bei-leistungen-fuer-langzeitarbeitslose-a-dcc3469d-73ba-4686-a35d-6ad3aeb7c7e6
[3] https://twitter.com/heimbergecon/status/1543989099861868546?s=20&t=KQnmIqY3usppjjRNDeuXFQ
[4] https://twitter.com/MonikaSchnitzer/status/1537450017350266886?s=20&t=mrxBH1pilSGiT1r_uz2MvA
[5] https://twitter.com/f_montag/status/1542147889111175169?s=20&t=mrxBH1pilSGiT1r_uz2MvA
[6] https://twitter.com/BMWK/status/1534938564831563776?s=20&t=ncfycYICAF1b7bpM_Bttug
[7] https://twitter.com/AchimTruger/status/1382207436401086470?s=20&t=A44Go6RQc3J4p8RDZT6r_w
[10] https://twitter.com/heimbergecon/status/1540612254957277184?s=20&t=KQnmIqY3usppjjRNDeuXFQ
[11] https://twitter.com/heimbergecon/status/1339214332408827906?s=20&t=KQnmIqY3usppjjRNDeuXFQ
[12] https://de.wikipedia.org/wiki/Trickle-down-Theorie
[13] https://de.wikipedia.org/wiki/Reaganomics
Redaktionsmitglied Sperling
Redakteur seit 2011, Kernteam der Redaktion seit 2013. De facto "Leitung" ab 2016, irgendwann auch offiziell Chefredakteur - bis 2023. Schreibt und Podcastet nur wenn ihm die Laune danach steht, zahlt aktuell die Infrastruktur der Flaschenpost, muss aber zum Glück nicht haften 🙂
Besser sein Geld in Bitcoin in Sicherheit bringen…. Das kann der Staat wenigstens nicht inflationieren oder anders verschwenden….
Denn wenn eines sicher ist dann die Korruption der Neoliberalen und Konservativen und die Wirtschafts Inkompetenz der Linksgrünen….. Ja deshalb bin ich für Steuer Senkung. Die Bürger können mit Geld besser umgehen als feudale Bürokraten.
Freie Bürger brauchen Geld ohne Staatskontrolle. Das ist Internetfreiheit…..
Der Markt regelt das mit dem Bitcoin und den Kryprobörsen gerade 🙂
Also nicht nur das die Reihenweise „ausgeraubt“ werden (oft von den Betreibern selbst) sondern auch der Energiemangel wird sein übriges tun.