Eine Kolumne von Ullrich Slusarczyk
Leider ist meine Kolumne letzte Woche krankheitsbedingt ausgefallen. Dafür diese Woche wieder mit vollem Elan.
Im April 2021 habe ich meinen ersten Artikel überhaupt für die Flaschenpost geschrieben. Damals noch ein Gastbeitrag:
https://die-flaschenpost.de/2021/04/06/auf-leben-und-tod/
Seitdem sind fast 2 Jahre vergangen und die Regierung hat gewechselt. Zeit nachzusehen, was sich geändert hat!
Aber zuerst den aktuellen Stand:
Status quo
Am 26.02.202 hat das Bundesverfassungsgericht ein Urteil zu diesem Thema gefällt.
Hier geht es um das Verbot geschäftsmäßiger Förderung der Selbsttötung.
Die Selbsttötung bzw. der assistierte Suizid ist bereits seit 2015 durch dieses Verbot quasi unmöglich gemacht worden.
Der damalige Bundesgesundheitsminister hat das Urteil nicht nur ignoriert, sondern aktiv verhindert, dass Anträge dazu bearbeitet wurden.
https://taz.de/Gesundheitsminister-unterlaeuft-Urteil/!5574981/
https://www.tagesspiegel.de/politik/jens-spahn-verhindert-sterbehilfe-5543572.html
Geändert hatte sich daran auch nach dem Urteil nichts.
Jetzt haben wir eine neue Regierung. Aber grundsätzliche Entscheidungen sind noch immer Fehlanzeige. Zwar gibt es drei Gruppen, die sich mit dem Thema beschäftigen und es soll auch eine Entscheidung bis zur Sommerpause getroffen werden, aber ich muss zugeben, ich habe da so meine Zweifel.
Diskussion
Anders als in Deutschland ist der selbstbestimmte Suizid in vielen Ländern, auch in Europa, mehr oder weniger zugelassen.
So unter anderem in Kanada. Dort ist die aktive Sterbehilfe seit 2016 legal. Das lässt sich auch in Zahlen ausdrücken.
- Seit 2016 hat sich die Zahl der Menschen, die freiwillig sterben möchten, verzehnfacht.
- 10.064 Menschen starben 2021 durch legalen Suizid in Kanada.
- Seit 2021 ist eine lebensbedrohliche Erkrankung nicht mehr Voraussetzung und ab März 2023 sollen auch psychisch Kranke Suizid beantragen können. Für Menschen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen ist es ebenfalls seit 2021 möglich.
Daraus ergeben sich natürlich Möglichkeiten, die es zu diskutieren gilt. Wo setzt man die Grenze bzw. darf man überhaupt eine Grenze ziehen? Kann die Pflege eines Menschen zu teuer werden und deswegen ein Suizid legal sein?
Leben oder Tod
Ich bin ein Befürworter des Lebens, aber nicht um jeden Preis. In einigen Ländern z.B. sind Abtreibungen auch dann verboten, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist oder der Fötus tot ist.
- Menschen, die nur durch Apparaturen am Leben erhalten werden, müssen für sich entscheiden können, ob sie das wollen oder nicht.
- Menschen, bei denen der Tod feststeht.
- Schmerzpatienten, die nur noch mittels Medikamenten bei Bewusstsein sind.
- Unheilbar Kranke, die so nicht weiterleben möchten.
- Altersbedingte Gründe, wie z.B. Verlust des Lebenspartners (Broken Heart Syndrom).
Das sind nur ein paar Gründe, die für mich akzeptabel sind. Ich bin kein Mediziner. Ich bin mir z.B. nicht sicher, ob psychisch kranke Menschen dieses Recht auch haben sollten, bzw. ob Sie überhaupt in der Lage sind, das zu entscheiden.
Sollten Behinderte das Recht haben zu sagen, nein so will ich nicht leben? Ich habe sehr lange darüber nachgedacht, und ich glaube ja, das sollten sie.
Aber all das birgt natürlich das Risiko, dass Menschen, obwohl das nicht nötig wäre, zum Suizid überredet werden.
Wenn man aber schon über Gründe für einen legalen Suizid nachdenkt, sollte man auch all das bedenken, was definitiv kein Grund sein sollte, einen Suizid zu verbieten.
Da stehen für mich z.B. an erster Stelle Glaubensgründe. Bis heute ist Selbstmord eine Sünde in der katholischen Kirche. Bis weit in das 19. Jahrhundert war eine Bestattung in geweihter Erde, also auf einem Friedhof nicht möglich. Sie kamen an Orte, die z.B. Schandacker genannt wurden. Zwar ist die Kirche heute toleranter und es werden Bestattungen zugelassen, aber sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche sind strikt gegen jede Form des assistierten Suizids.
Auch die Wünsche von Angehörigen gehören für mich nicht dazu. So schmerzlich das für Angehörige auch sein mag. Unser Leben gehört nicht anderen, es gehört nur uns selbst.
Ethik
Ist es ethisch überhaupt vertretbar, Menschen den Suizid zu erlauben? Ich glaube, das ist eine Frage, die man heute gar nicht mehr stellen darf. Was ich im Internet lese an Beschimpfungen, Drohungen und Hass, lässt eher vermuten, dass wir uns vom ethischen hochstehenden Homo sapiens zum intelligenten Tier zurückentwickeln, das nur noch das Recht des stärkeren akzeptiert. Wir lassen Flüchtlinge im Meer ertrinken, in Gefängnissen verbrennen und drohen Journalisten, Politikern und Menschenrechtlern mit Tribunalen, Prozessen und dem Galgen. Und ausgerechnet wir maßen uns an, über den selbstbestimmten Suizid zu entscheiden.
Persönlich
Am 30.07.2011 um 18.09 Uhr bekam ich eine Mail in einem Browsergame. Allerdings war ich nicht online, sondern mit Freunden unterwegs. Und so habe ich die Mail erst nachts um halb 2 gelesen. Es war die Ankündigung eines Suizids. Ich war wie vor den Kopf geschlagen und brauchte ca. eine halbe Stunde, bis ich wusste, was ich überhaupt tue. Dann aber hatte ich mich entschieden. Lässt man all die Schwierigkeiten, die es mit sich bringt, wenn man jemanden nur online und mit Spielernamen kennt, außen vor, dann ist es mir gelungen, seinen Tod zu verhindern.
Bis heute spielen wir zwei zusammen.
Bis heute haben wir uns nicht getroffen.
Und ich bin froh, dass er noch lebt. Hier habe ich eine Entscheidung getroffen.
Stand mir diese Entscheidung zu, war sie richtig?
Ich glaube, ja, und ich würde es wieder tun.
Fazit
Ich glaube, dass man das Recht zum selbstbestimmten Suizid haben muss!
Ich glaube auch, dass es gute Gründe geben sollte, und dass diese vorher geprüft werden sollten. Wie diese Gründe aussehen sollten, das sollten Gruppen aller aus der Gesellschaft festlegen. Und es wird Zeit, dass wir langsam zu einer Entscheidung kommen.
Ullrich Slusarczyk
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.