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Hallo Lukas,

Plenarsaal des EP
wir beide arbeiten ja in der Flaschenpost zusammen und kennen uns auch persönlich aus einigen Treffen zu verschiedenen Gelegenheiten. Mit Deinem Bericht über das Praktikum im Europaparlament wurde ja schon klar, Du hast einen besonderen Draht zu Europa.
Was verbindet Dich mit „Europa“?
Ich bin mit der Europäischen Union aufgewachsen und kenne keine andere deutsche Währung als den Euro. Auch Grenzkontrollen bei unseren Nachbarländern sind mir fremd. Für mich symbolisiert Europa und insbesondere die EU Freiheit – sei es in Form von Reisefreiheit, Handelsfreiheit, Demokratie oder Menschenrechten. Seit dem Brexit ist mir jedoch klar geworden, dass wir all diese Errungenschaften aktiv verteidigen müssen. Außerdem spielt gerade angesichts der aktuellen geopolitischen Lage die EU eine bedeutende Rolle, da sie die Zusammenarbeit und Stärkung europäischer Länder fördert.
Hast Du einen besonderen Bezug zum Europaparlament?
Die EU-Urheberrechtsreform im Jahr 2019 hat maßgeblich dazu beigetragen, dass ich politisch aktiv wurde. Deswegen habe ich an Demonstrationen teilgenommen, meine erste Rede auf einer Demo gehalten und schließlich bin ich den PIRATEN beigetreten. Im selben Jahr habe ich zudem Verfassungsklage gegen das damals geltende Wahlalter bei Europawahlen eingereicht. Von Anfang an habe ich das Europäische Parlament aufmerksam verfolgt, war letztes Jahr mehrmals in Brüssel zu Besuch und habe dieses Jahr im Rahmen eines Praktikums das Parlament auch „von innen“ kennengelernt.
Du konntest ja schon einen Blick auf die Zusammenarbeit der Piraten im Europaparlament werfen.
Gibt es etwas, was Dir an der Arbeit der Gruppe der Piraten im Europaparlament besonders gefällt, Dich beeindruckt hat?
Die Delegation der vier Piraten im Parlament bildet so etwas wie eine eigene Fraktion innerhalb der Fraktion Greens/Efa. So werden wichtige Themen im Vorfeld innerhalb der Delegation besprochen und möglichst mit geeinter Stimme aufgetreten. So ist es möglich, mit geeinter Kraft und gegenseitiger Unterstützung Themen innerhalb der Fraktion oder des Parlaments voranzubringen zu bringen. Gerade mit Hinblick auf die zu erwartenden neuen Mandate in Luxemburg und Ungarn sollten wir das auf jeden Fall auch in Zukunft so handhaben. Außerdem beeindruckt mich, wie eng die Teams der einzelnen Abgeordneten und die Delegationsmitarbeiter zusammen arbeiten. So hatte ich beispielsweise während meines Praktikums nicht nur mit Markétas Team zu tun, sondern habe auch Mikuláš Assistentin auf Ausschusssitzungen begleitet und mit Patricks Team zusammengearbeitet.
Der Fraktionsarbeit im Europaparlament kommt eine sehr wichtige Rolle zuteil.
Wie beurteilst Du die thematische Aufteilung in der Fraktion EFA/Greens?
Unsere vier Abgeordneten haben es erfolgreich geschafft, die für Piraten wichtigen thematischen Schwerpunkte und Positionen innerhalb der Fraktion zu vertreten. In der ersten Hälfte der Legislaturperiode haben wir mit Marcel Kolaja einen Vizepräsidenten des Parlaments gestellt und derzeit stellen wir einen Quästor (zuständig für Finanzen). Zudem arbeiten wir innerhalb der Fraktion erfolgreich an Themen wie Chatkontrolle, der ePrivacy Regulation, der Dual Use Verordnung und vielen anderen wichtigen Angelegenheiten. Wir konnten auch in einigen Punkten unsere PIRATEN-Meinung innerhalb der Fraktion durchsetzen. So hat beispielsweise im Jahr 2022 fast die gesamte Fraktion gegen die Sperrklausel gestimmt. Leider ist es uns nicht gelungen, auch die deutschen Grünen im Bundestag von der Ablehnung der verfassungswidrigen EU-Sperrklausel zu überzeugen. Für die nächste Legislaturperiode hoffe ich jedoch, dass wir eine eigene Piratenfraktion bilden können. Mit eigener Fraktion hat man dann doch andere Ressourcen und mehr Möglichkeiten.
Für die Europawahl wurde das Wahlalter auf 16 Jahre abgesenkt, ein Umstand, an dem Du selbst ja beteiligt warst.
https://www.piratenpartei.de/2020/05/26/piraten-zur-senkung-des-wahlalters-als-belohnung/
Wie können wir speziell die Jugend davon überzeugen, die Piratenpartei zu wählen?
Zum einen müssen wir den Jugendlichen deutlich machen, dass wir für sie einstehen. Es ist maßgeblich unser Verdienst, dass bei der nächsten EU-Wahl bereits ab 16 Jahren gewählt werden darf. Zudem müssen wir ihnen verdeutlichen, dass viele unserer Themen für sie von großer Bedeutung sind. Die Chatkontrolle ist ein gutes Beispiel dafür, da junge Menschen sich vermehrt im Internet aufhalten und dort kommunizieren. Oft hören sie aufmerksam zu und möchten aktiv gegen die Chatkontrolle vorgehen, wenn man sie über die damit verbundenen Gefahren und Risiken aufklärt. Zudem haben wir den Vorteil, dass wir bei jungen Wählern meist keinen „Vergangenheitsballast“ haben und diese kleinen und jüngeren Parteien normalerweise aufgeschlossener sind.
Auch zur Europawahl muss Wahlkampf geführt werden.
Mit welchen Themen müssen wir unbedingt Wahlkampf machen?
Das Thema Chatkontrolle und die Verteidigung unserer Bürgerrechte ist von großer Bedeutung und wird uns mit Sicherheit auch im Wahlkampf weiterhin begleiten. Plänen wie einem allgemeinen Verschlüsselungsverbot müssen wir uns mit aller Kraft entgegenstellen. Zudem sollten wir uns für transparente und ehrliche Politik einsetzen. Die jüngste Quatar-Affäre hat dem Parlament einen schlechten Ruf eingebracht aufgrund von Intransparenz und Korruption. Es ist wichtig, dass wir uns für klare Regeln starkmachen. Darüber hinaus sollten wir im Wahlkampf den Wählern unsere Vision für die Zukunft Europas aufzeigen. Das Europäische Parlament muss gestärkt werden und ein direktes Initiativrecht erhalten. Außerdem sollten wir uns für ein verpflichtendes Spitzenkandidatensystem einsetzen.
Die Klimakatastrophe ist das wahrscheinlich alles beherrschende Thema der nächsten Jahrzehnte.
Kann das Europaparlament einen Beitrag zur Bewältigung der Klimakatastrophe leisten?
Ja, das Europäische Parlament kann einen Beitrag zur Bewältigung der Klimakatastrophe leisten. So hat beispielsweise 2019 das Parlament den Klimanotstand ausgerufen. 2021 wurde der Green Deal beschlossen. Dieser beruht auf einer Vorlage der Kommission, die das Parlament noch verbessern konnte. Wie in jedem Parlament werden die beschlossenen Maßnahmen maßgeblich durch die im Parlament vorherrschenden Mehrheiten beeinflusst. Zusätzlich kommen über die Kommission und den Rat noch weitere Stimmen dazu, die das ganze beeinflussen. Insgesamt müssten sich für mehr Klimaschutz die Mehrheiten ändern. Nicht nur im Parlament, sondern auch im Rat und der Kommission.
Gibt es ein Thema, das Dir besonders am Herzen liegt?
Transparenz in der Politik liegt mir besonders am Herzen. Es kann einfach nicht sein, dass das Europäische Parlament ein ernstzunehmendes Korruptionsproblem hat und so gut wie nichts dagegen unternommen wird. QuatarGate hat diese Probleme erst aufgedeckt und trotzdem stockt die Aufklärung und politische Konsequenzen lassen auf sich warten.
Ein weiteres Thema, was mir gerade aufgrund meiner Verfassungsklage sehr am Herzen liegt, ist die politische Jugendpartizipation. Junge Menschen müssen mehr in politische Entscheidungsprozesse einbezogen werden und mehr bedacht werden. Deswegen ist es ein wichtiger Schritt, dass das Wahlalter bei den EU-Wahlen in Deutschland auf 16 Jahre gesenkt wurde. Hoffentlich folgt eine Herabsetzung bei allen anderen Wahlen.
Gibt es ein Thema, das wir vermeiden sollten?
Nein, nicht so lange es durch unser Programm gedeckt ist.
Welchen Listenplatz strebst Du an?
Ich strebe den ersten Listenplatz an.
Das Interview wurde offline geführt. Vielen Dank für das Interview an Lukas Küffner.
Ullrich Slusarczyk
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.