Let’s talk about Sex

Eine Kolumne von Ullrich Slusarczyk

Wir leben im Zeitalter der Aufklärung, des Feminismus und der freien Liebe. Und doch sind noch unglaublich viele, vor allem Frauen, aber nicht nur, in sehr traditionellen Geschlechterbildern gefangen. Ein Beispiel:
Ich bin gesundheitlich gehandicapt. Das heißt, ich habe nur noch einen Lungenflügel statt zwei wie gesunde Menschen. Daraus resultiert ein deutlich verringertes Lungenvolumen von 59 %. Also mal schnell zum Bus rennen, weil man spät dran ist, geht nicht mehr.
Und beim Sex sage ich schon vorher, dass ich unten liegen „muss“. Denn Sex ist anstrengend. Und ich muss mich darauf konzentrieren, dass der Sex überhaupt stattfinden kann. Also muss ich unten liegen. Wer jetzt denkt, na das sollte doch in heutigen Zeiten kein Problem sein, weit gefehlt. Klar hat da auch das eine oder andere Mal Ableismus (ungerechtfertigte Ungleichbehandlung („Diskriminierung“) wegen einer körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung oder aufgrund von Lernschwierigkeiten) eine Rolle gespielt. Aber eine nicht unbeträchtliche Anzahl der Absagen war auf veraltete Rollenbilder zurückzuführen. Eben das der Mann oben liegt und die Arbeit macht.

Um solchen Problemen aus dem Weg zu gehen, kann man zu einer Prostituierten gehen. Und für viele z.B. körperlich Behinderte ist das vermutliche sogar die einzige Möglichkeit, Sex zu haben. Nun sind wir ein säkularer Staat. Das heißt wir, gründen uns nicht auf religiöse Überzeugungen.

Einfluss der Religion

Leider sieht die Realität anders aus. Da sind z.B. die beiden Parteien mit dem C für christlich im Namen.
Diese beiden Parteien haben gerade beschlossen, das sogenannte „Nordische Modell“ zu fordern. Angeblich um Menschenhandel, Gewalt und Drogen zu verhindern. Bei dem Nordischen Modell werden Bordelle verboten und Freier bestraft.
Das Interessante dabei ist, es ist bereits statistisch erwiesen, dass das Nordische Modell einen Zuwachs von Gewalt gegenüber den Prostituierten bedeutet. Praktisch alle Ziele, die das Nordische Modell erreichen will, werden nicht erreicht und die Situation für die Prostituierten verschlechtert sich signifikant.

Allerdings sehen die verschiedenen Regierungen das teilweise anders und verkünden das auch so. Diverse unabhängige Studien bestätigen die positiven Auswirkungen allerdings nicht.
https://storage.polit-x.de/media/Wissenschaftlicher%20Dienst/pdf/2020-01/e5a2b4a49c7e8c070d607b213f6d00e7.pdf
https://www.berufsverband-sexarbeit.de/index.php/2023/11/01/note-nicht-genuegend-gruende-umstritten-vergleich-von-drei-evaluierungsberichten-zum-franzoesischen-prostitutionsgesetz/
Die Vorstellung, dass es tatsächlich Frauen geben könnte, die wirklich freiwillig Sexarbeiterinnen sind, wird von sehr vielen Menschen kategorisch abgestritten. Frei nach dem Motto: Was nicht sein darf, das nicht sein kann.

Realität

Mein erster Job als ausgelernter Elektriker in Berlin war in einem kleinen Elektrobetrieb in Schöneberg. Nach einem Monat schickte mich mein Meister in eine Wohnung nur ein paar Straßen weiter, mit den Worten, da ist eine Waschmaschine kaputt. Ich war etwas verblüfft, weil ich sollte da alleine hingehen. Na ja, ok.
Die Wohnung war eine typische Berliner Altbauwohnung mit 8 oder mehr Zimmern. Und es war ein Bordell. Was auch der Grund war, warum ich da hingehen musste und nicht der Meister, das hätte nämlich Ärger mit seiner Frau bedeutet. Ich bin im Laufe der Jahre dort sehr oft gewesen und habe jede Menge Prostituierte kennengelernt. Und ich weiß, solche Bordelle gab es jede Menge in Berlin. Natürlich gibt es auch Menschenhandel. Gewissenlose Zuhälter, die Frauen mit Gewalt, Drogen und Erpressung gefügig machen. Niemand bestreitet das. Aber für all das braucht es keine besonderen Gesetze. Denn absolut alles davon ist bereits strafbar.
Man muss die Gesetze nur anwenden!

Ich habe vietnamesische Frauen gesehen, die sich ganz sicher nicht freiwillig prostituiert haben. Das nordische Modell wird daran aber nichts ändern. Warum also wird es gefordert?
https://www.cducsu.de/sites/default/files/2023-11/Positionspapier%20Sexkauf%20bestrafen.pdf

Rückständig

Weil es einem veraltetem Geschlechts- und Sittenbild entspricht, in dem der Freier ein Perverser ist und die Frau auf jeden Fall gezwungen wurde, sich zu prostituieren. Dass das völliger Blödsinn ist und es viele andere Möglichkeiten gibt, wird völlig ignoriert.

Ich habe später eine Webseite mit Livecams betreut und dabei sowohl die Camgirls als auch die Kunden kennengelernt. Und einer der Kunden war ein Mann im Rollstuhl, der ganz klar gesagt hat, dass dies so ziemlich seine einzige Möglichkeit sei, Sex zu haben. Und die Variante Bordell hat er kategorisch ausgeschlossen, nach dem er dort in eine Razzia geraten ist, und die Polizei nicht verstanden hat, dass er als Querschnittsgelähmter eben nicht mal so einfach aus dem Bett herauskommen kann.

Fazit

Als Gesellschaft sind wir weder aufgeklärt noch besonders feministisch. Im Gegenteil. Wir sind homophob, frauenfeindlich und die sexuelle Revolution sieht für uns so aus, dass wir Frauen schlechter bezahlen als Männer und sie weniger in Führungspositionen zu finden sind trotz gleicher oder sogar besserer Qualifikation. Wir echauffieren uns über den Islam und dass die Frauen dort verschleiert rumlaufen müssen. Aber insgeheim beneidet ein nicht unerheblicher Teil unserer Gesellschaft den Islam genau deswegen. Frauen oben ohne in einem Schwimmbad? Wo kommen wir denn da hin? Wirklich aufgeklärt und modern sieht anders für mich aus.

Ullrich Slusarczyk

Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk

1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.

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